Kinder im Netz

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Die am weitesten verbreitete Online-Tätigkeit bei den befragten 6- bis 13jährigen ist das Anschauen von Grafiken, Fotos und Bildanimationen. Solche visuellen Inhalte sind ein konstituierendes Element des World Wide Web. Die Tatsache, daß fast vier von fünf Kindern angegeben haben, sie hätten sich schon einmal Bilder oder Videoanimationen im Internet angeschaut, darf somit auch als indirekter Indikator für den hohen Bekanntheitsgrad des WWW gewertet werden. Auch mit dem zweiten, nicht-textuellen Bestandteil im Multimedia-Mix hat die Mehrheit der Respondenten Erfahrung: Über 60 Prozent der Kinder gaben an, sie hätten sich schon einmal Töne oder Musik im Internet angehört. Für nur etwas mehr als die Hälfte der befragten Kinder jedoch ist das Internet offenbar ein Lese- und Informationsmedium. 51,8 Prozent der Respondenten haben schon einmal online Geschichten gelesen oder in einer elektronischen Zeitung gestöbert.
Die elektronische Post als den zentralen Kommunikationsdienst des Internet haben knapp zwei Drittel der Kinder schon einmal genutzt, den Chat hingegen nur 46,2 Prozent. Letzteres Ergebnis ist kaum verwunderlich, da das Chatten den Kindern einen virtuosen Umgang mit der Computertastatur abverlangt, während die E-Mail offline und damit in aller Ruhe editiert werden kann.
Online-Spiele liegen auf der Skala der bereits ausprobierten Internet-Anwendungstypen anvorletzter Stelle. Das Schlußlicht bilden im World Wide Web ausgestellte, eigenproduzierte Texte, Töne und Bilder. Nur verhältnismäßig wenige Kinder erfahren das Internet also offenbar als Medium, in das sie sich mit eigenen, kreativen Ideen einbringen können. Das heißt aber nicht zwangsläufig, daß sie es nicht als Partizipationsmedium nutzen, um beispielsweise in Web-Foren Kommentare zu veröffentlichen. Denn die Formulierung der Frage nach im Internet ausgestellten Eigenkreationen und die zur Illustration gewählten bildlichen Beispiele zielten eindeutig auf "kreative Gesamtkunstwerke", nicht auf Meinungsäußerungen in Online-Foren. (344) Vielmehr legen die Erfahrungen des Südwestrundfunks mit dem Kindernetz sowie die große Resonanz auf das Meinungsforums zu meiner Umfrage nahe, daß Kinder sehr wohl ausgiebig von der Möglichkeit Gebrauch machen, Informationen über die eigene Person und Meinungen im World Wide Web zu verbreiten. (345)


Abbildung 2.18


Rund 19 Prozent der Respondenten können als sehr erfahrene Internet-Nutzer bezeichnet werden. Sie gaben ab, daß sie mit mindestens sechs der aufgezählten sieben Online-Anwendungsarten vertraut seien. Knapp ein Drittel der Kinder (32 %) hat jedoch erst Erfahrungen mit einem oder zwei Anwendungen bzw. Inhaltstypen. Die Hälfte gab an, zwischen drei und fünf der vorgegebenen Internet-Anwendungen schon einmal ausprobiert zu haben.

Ein weiteres Ergebnis: Sofern Kinder die Gelegenheit bekommen, das Internet mit all seinen Möglichkeiten zu nutzen und auszuprobieren, macht ihnen die Anwendung großen Spaß. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, daß das Internet immer noch den Ruf eines neuen und verhältnismäßig exklusiven Mediums genießt. Online-Sein ist eine Betätigung, die im Trend liegt. Zumindest vermittelt das große Interesse der "klassischen" Medien diesen Eindruck. Kinder und Jugendliche aber sind für Modeerscheinungen besonders empfänglich, bieten sie doch die Möglichkeit, sich gegenüber Gleichaltrigen abzusetzen.

Hervorzuheben ist, daß sich vor allem die E-Mail und der Chat großer Beliebtheit erfreuen bei den mit diesen beiden Diensten erfahrenen Kindern. Fast neun von zehn Respondenten, die schon einmal einen elektronischen Brief verschickt haben, finden es "toll", das Internet auf diese Art zu nutzen. Bei den "chat-erprobten" Kindern sind es 85 Prozent (vgl. Abbildung 3.19). Dieses Ergebnis deutet an, welch große Bedeutung die interaktiven Qualitäten des Internet für die Altersgruppe der 6- bis 13jährigen haben - auch wenn der Chat nur jenen Kindern zugänglich ist, die über fortgeschrittene Schreibfertigkeiten verfügen.
Textlastige Angebote hingegen erfreuen sich bedeutend geringeren Zuspruchs. Zwar haben - wie bereits ausgeführt - immerhin über die Hälfte aller Kinder schon einmal Geschichten oder Nachrichten im Internet gelesen. "Nur" 60 Prozent davon finden es jedoch toll, das Internet zum Lesen zu nutzen. Der Anteil der Respondenten, die textlastige Angebote im Netz eher als mittelmäßig empfinden, liegt mit über einem Drittel im Vergleich zu den anderen Anwendungs- und Inhaltstypen recht hoch. Fünf Prozent bezeichnen Geschichten und Nachrichten im Internet sogar als "blöd".
Wenig überraschend ist in meinen Augen das Ergebnis, daß Spielen im Netz von über einem Drittel der "spielerfahrenen" Kinder als "blöd" oder mittelmäßig eingestuft wird. Im Vergleich zu den Offline-Programmen können die Online-Varianten - sieht man einmal von den Netzwerk-Spielen ab (346) - nur mit eher bescheidenen Grafik- und Soundeffekten aufwarten. Da aber die meisten Kinder mit Computer-Erfahrung CD-ROM-Programme und Spielkonsolen kennen, dürften die bedeutend weniger aufwendigen Online-Produktionen in ihren Augen wohl eher blaß aussehen. Ferner erfordern Online-Spiele eine lange Verweildauer im Netz, was Telefon- und Provider-Kosten in die Höhe treibt und deshalb vermutlich weder von Eltern noch von Lehrern gern gesehen wird.


Abb. 2.19: Beliebtheit einzelner Dienste und Inhalte - Prozentanteile an Nutzern (n)
mit Erfahrungen in dem jeweiligen Anwendungsbereich.


Geschlechtsspezifische Unterschiede sind marginal. Damit bestätigen sich die Ergebnisse der amerikanischen Jupiter-Studie sowie der Multimedia-Studie des Forschungsverbundes Südwest. (347) Hervorzuheben ist allenfalls das Übergewicht der Jungen bei den über das Internet abgerufenen Tondokumenten. Mädchen hingegen, so legen die Daten meiner Umfrage nahe, haben etwas mehr Erfahrung mit Online-Spielen als Jungen.


Abbildung 2.20


Altersbedingte Trends bei der Erfahrung mit den unterschiedlichen Anwendungsarten haben sich nicht ergeben. (348) Zurückzuweisen ist also meine Hypothese, daß jüngere Kinder eher spielerische Online-Betätigungen kennen und nutzen, die nicht auf dem geschriebenen Wort basieren, ältere Kinder sich hingegen verstärkt auf die elektronische Post und den Chat verlegen. Diese Aussage muß jedoch mit einer entscheidenden Einschränkung versehen werden: Anders als bei der Multimedia-Studie des Forschungsverbundes Südwest habe ich nicht danach gefragt, wie intensiv Kinder die verschiedenen Möglichkeiten zur Online-Betätigung tatsächlich wahrnehmen. (349) Die Respondenten sollten nur angeben, ob sie das Internet auf die beschriebenen Arten und Weisen schon einmal genutzt haben.
In diesem Zusammenhang wird auch ein weiteres, zunächst befremdlich erscheinendes Einzelergebnis interessant und erklärbar:
Sechs der acht Respondenten in der Altersgruppe der unter Sechsjährigen sowie sechs der neun Respondenten im Alter von sechs Jahren gaben nämlich an, sie hätten schon einmal gechattet. Bei den Siebenjährigen ist es ein Respondent von acht, bei den Achtjährigen sind es neun von 19. (350) Es ist jedoch mehr als unwahrscheinlich, daß Kinder in diesem Alter über ausreichende Lese- und Schreibkenntnisse verfügen, geschweige denn schnell genug tippen können, um bei Diskussionen im Chat mitzuhalten.
Eine mögliche Erklärung hierfür: Die Kinder haben nicht alleine gechattet, sondern vielmehr Eltern oder anderen Kindern dabei über die Schultern geschaut und diese Erfahrung im Augenblick der Befragung als eigene Internet-Nutzung interpretiert.
Hier offenbart sich erneut eine wesentliche Schwäche der für die vorliegende Untersuchung gewählten Methode. Eine Befragung erlaubt keine Unterscheidung, wie eigenständig die Kinder in den verschiedenen Altersstufen das Internet anwenden - ob sie das Netz weitestgehend autonom und alleine nutzen, ob Erwachsene oder ältere Geschwister meistens mit vor dem Bildschirm sitzen oder ob die Medienrezeption nicht eher passiver Natur ist. Diese Erkenntnis läßt die Ergebnisse - insbesondere für die jüngeren Altersklassen - in einem anderen Licht erscheinen und relativiert die Aussage, daß sich keine altersbedingten Trends ausmachen lassen.

Der Pretest mit der ersten Version meines Online-Fragebogens ließ mich zu der Erkenntnis kommen, daß Kinder bisweilen Schwierigkeiten haben, zwischen Online- und Offline-Nutzung zu differenzieren. Insbesondere bei Spielen und Computertönen schien mir dieses "Problem" aufzutauchen. (351) Es stellt sich also die Frage, wie viele Kinder möglicherweise bei den abgefragten Arten der Internet-Nutzung Offline-Anwendungen im Kopf gehabt haben und das Internet eigentlich nur höchst selten nutzen. Um mir einen Überblick zu verschaffen, bei wie vielen Respondenten dies der Fall gewesen sein könnte, habe ich die Daten isoliert betrachtet nach Internet-spezifischen Anwendungen und solchen, die auch im Offline-Bereich zu finden sind.
Als für die Internet-Nutzung spezifische Anwendungen wären die E-Mail, der Chat und das Veröffentlichen von eigenen Inhalten zu nennen. 61 Respondenten gaben an, daß sie mit keiner dieser drei Anwendungen vertraut seien. Von diesen Kindern wiederum haben 31 nur einen einzigen der verbleibenden vier Inhaltstypen als ihnen bekannt angegeben. Eine genaue Aufschlüsselung zeigt Tabelle 2.7.


Tabelle 2.7: Als einzige ihnen bekannte
Online-Anwendung haben angegeben:
AnwendungstypAnzahl Kinder
Bilder und Videos11
Töne und Musik11
Geschichten und Nachrichten7
Spiele2

Fazit: Es ist nicht ganz auszuschließen, daß Kinder vereinzelt bei einigen Anwendungen, die es nicht nur im Internet gibt, Online- und Offline-Anwendungen durcheinandergebracht haben. Diese potentielle (sic!) Unschärfe in der Meßgenauigkeit des Instrumentes liegt jedoch meines Erachtens nicht so hoch, daß die Validität der Methode insgesamt in Frage gestellt werden müßte.



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zurück (344) Vgl. die Fragebogen-Seite.

 

zurück (345) Vgl. Kapitel 1.4. sowie Kapitel 2.4.8.

 

zurück (346) Zur Funktionsweise von Netwerkspielen vgl. Fehr, Wolfgang/Fritz, Jürgen: Zur Faszinationskraft von Netzwerkspielen am Beispiel von Warcraft 2 und Duke Nukem 3D. IN: Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, a.a.O., S.76-8; ferner Siegele, Ludwig: Gute Schlacht mit echten Gegnern. IN: Die Zeit 12/1997 vom 14.3.1998, S.90 sowie Lober, Andreas: Spiel ohne Grenzen. Multi-User-Spiele für LANs, Modems und das Internet. IN: c't 5/1998, S.146-152.

 

zurück (347) Vgl. Kapitel 1.3.1.

 

zurück (348) Vgl. das Datenmaterial im Anhang.

 

zurück (349) Vgl. Kapitel 1.3.1.

 

zurück (350) Vgl. das Datenmaterial im Anhang.

 

zurück (351) Vgl. Kapitel 2.3.1.4.2.

© Tobias Gehle, 1998

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