Kinder im Netz

zurück Rezeptionssituation vor

Es wurde nicht danach gefragt, in welchem sozialen Umfeld die Respondenten meistens das Internet nutzen. Die Kinder sollten lediglich angeben, ob ihnen während der Beantwortung des Fragebogens Kinder bzw. Erwachsene zuschauten. (339) Zwei Gründe für diese Fragetechnik sind anzuführen: Zum einen sollte den Respondenten - mit Blick auf die unvollständig ausgebildete Fähigkeit zur Medienreflektion bei jüngeren Kindern - keine Abstraktion von der augenblicklichen Situation abverlangt werden. (340) Zum anderen sollten Faktoren sozialer Erwünschtheit möglichst ausgeschaltet werden. (341)
Die im folgenden referierten Ergebnisse beziehen sich also nur auf die Rezeptionssituation während der Befragung. Hiervon lassen sich allenfalls Vermutungen über das Umfeld ableiten, in dem Kinder das Internet im Normalfall nutzen. Es zeichnen sich jedoch durchaus einige erwähnenswerte Tendenzen ab, insbesondere wenn man die Ergebnisse im Zusammenhang sieht mit den Angaben über den Zugangsort und den Antworten auf die Frage, was Kinder tun, wenn sie mit Problemen bei der Nutzung des Internet konfrontiert werden. Allerdings ist eine schriftliche Befragung - vor allem bei Kindern - nicht die am besten geeignete Methode, um Daten über die soziale Situation der Medienrezeption zu sammeln. (342)

Über die Hälfte der Kinder hat den Fragebogen beantwortet, ohne daß ein Erwachsener oder ein Kind zuschaute, jeweils knapp ein Drittel gab an, daß zumindest ein Erwachsener oder Kind dabei gewesen sei. Nur selten haben sowohl Kinder und Erwachsene zugeschaut (vgl. Tabelle 2.5).


Tabelle 2.5: Anwesenheit anderer Personen
während der Befragung.
Anwesenheit von...absolutin %
Erwachsener8829,2
Kinder9029,9
Erwachsener und Kinder4214
weder Erwachsener noch Kinder16554,8

Für die Fälle, in denen Kinder identische Angaben gemacht haben über den aktuellen Aufenthaltsort und den häufigsten Zugangsort für die Internet-Nutzung, habe ich das soziale Umfeld während der Befragung in Verbindung gebracht mit dem jeweiligen Zugangsort. (343) Dabei fiel ins Auge: In der Schule nahm meistens ein Erwachsener oder ein Kind an den Bildschirmaktivitäten des Respondenten teil, in knapp 30 Prozent der Fälle gar sowohl Kinder als auch Erwachsene. Bei der heimischen Internet-Nutzung saßen die Kinder jedoch bedeutend häufiger allein vor dem PC (vgl. Abbildung 2.14).


Abbildung 2.14
* Basis: Alle Fälle, in denen Kinder identische Angaben über aktuellen und häufigsten Zugangsort für die Internet-Nutzung machten. Schule: 76,8 Prozent aller Fälle (n=86); Nutzung zu Hause: 92,1 Prozent aller Fälle (n=129).


Dies könnte zum einen damit zusammenhängen, daß Lehrer - auf meinen Teilnahmeaufruf reagierend - den Fragebogen gemeinsam mit ihrer Computer AG oder Klasse durchgegangen sind und sich Lehrer und Kinder dabei zwangsläufig um den Monitor geschart haben. Angesichts der dürftigen Computerausstattung in den meisten Schulen (und der noch bescheideneren Situation bei der Internet-Anbindung) liegt jedoch die Vermutung nahe, daß die gemeinschaftliche Nutzung mit anderen Schülern und/oder dem Lehrer durchaus üblicher Praxis entspricht. Eine (E-Mail-)Befragung von Lehrerinnen und Lehrern in den Klassen 1 bis 6 könnte hierüber jedoch bedeutend sicherere Erkenntnisse bringen als die vorliegende Befragung.

Tauchen Probleme mit der Nutzung des Internet auf, so wenden sich über die Hälfte aller Kinder an einen Erwachsenen (vgl. Tabelle 2.6). Es ist also anzunehmen, daß diese Kinder nicht völlig isoliert an ihrem Rechner sitzen, sondern zumindest einen Tutor in Reichweite haben. Die wenigsten Kinder, nur ca. eins von zehn, fragen andere Kinder, wenn sie bei ihren Ausflügen ins Internet an einem Punkt nicht weiterkommen, mehr als ein Drittel sucht ohne fremde Hilfe nach einer Lösung des Problems.


Tabelle 2.6: Problemlösungsstrategien
 absolutin Prozent
frage Erwachsenen16354,2
frage Kinder3210,6
probiere selbst rum10635,2

Schlüsselt man die Angaben zur Anwesenheit anderer Personen während der Befragung nach Altersgruppen auf, stellt sich heraus: Je älter die Respondenten waren, desto seltener schaute ihnen ein Erwachsener während der Bearbeitung des Fragebogens zu. Kinder unter acht Jahren wurden zum deutlich überwiegenden Teil beim Ausfüllen des Fragebogens von Erwachsenen unterstützt.
Für die Anwesenheit anderer Kinder ließ sich kein eindeutiger Trend feststellen (vgl. Abbildung 2.15). Mit Ausnahme der sechs Jahre alten und der noch jüngeren Kinder lag der Anteil der Respondenten, die den Fragebogen im Beisein von anderen Kinder und Erwachsenen ausgefüllt haben, durchgängig bei lediglich einem Fünftel oder noch darunter. Zwischen acht und elf Jahren haben rund die Hälfte aller Kinder den Fragebogen ganz allein bearbeitet, bei den Zwölfjährigen waren es sogar 78 Prozent (vgl. Abbildung 2.16).

Abbildung 2.15
Abbildung 2.16

Von diesen Ergebnissen läßt sich - die eingangs erwähnten Einschränkungen zur Generalisierbarkeit der Daten im Hinterkopf - folgende Schlußfolgerung ableiten: Je älter Kinder sind, desto häufiger nutzen sie das Internet allein. Vor allem die Präsenz eines Erwachsenen spielt mit zunehmendem Alter eine immer geringere Rolle.
Diese These wird im übrigen gestützt durch die Antworten der Kinder auf die Frage, was sie tun, wenn Schwierigkeiten bei der Nutzung des Internet auftreten. Je älter die Kinder werden, desto seltener fragen sie in solchen Fällen Erwachsene. Statt dessen spielen offenbar die Ratschläge anderer Kinder eine etwas wichtigere Rolle. Beide Trends sind jedoch nicht sehr ausgeprägt (vgl. Abbildung 2.17).


Abbildung 2.17


Allerdings ist hervorzuheben: Auch bei den ältesten Kindern sind Eltern und Lehrer immer noch Ansprechpartner Nummer eins. Dies mag als Indiz dafür gewertet werden, daß Erwachsene in Sachen Internet immer noch als Autoritätspersonen gelten und ihre Stellung als Institution der Medienerziehung im Zeitalter elektronischer Kommunikation nicht zwangsläufig hinfällig wird - oder zumindest (noch) nicht geworden ist. Landläufig wird die Meinung vertreten, daß Kinder mit ihrem teilweise verblüffenden Computer-Know-How den Erziehungspersonen das Wasser abgraben. Für das Internet scheint dies nicht zuzutreffen, zumindest deutet die Selbsteinschätzung der Kinder nicht darauf hin. Es ist meines Erachtens jedoch damit zu rechnen, daß mit zunehmender Verbreitung des Internet unter Kindern der Wissensabstand zwischen den Generationen eher wachsen denn abnehmen dürfte.



zurück Fußnoten vor

Benutzen Sie die zurück Buttons, um zum Text zurückzukehren.

 

zurück (339) Vgl. die beiden Versionen der Frage-Seiten im Anhang.

 

zurück (340) Vgl. Kapitel 2.1.3.

 

zurück (341) Die Befragung von Bertolini u.a. hat bei der Einschätzung der Nutzungsgewohnheiten erhebliche Unterschiede zwischen den Angaben der Kinder und denen der Eltern offenbart (vgl. Kapitel 1.3.1.). Die Kinder antworteten deutlich häufiger als ihre Eltern, sie würden das Internet meistens allein nutzen. Wie bereits ausgeführt, ist dies zum einen möglicherweise darauf zurückzuführen, daß Kinder das Internet tatsächlich häufiger alleine nutzen, als den Eltern bzw. Lehrern bekannt ist. Dies ist auch die Interpretation des italienischen Forscherteams um Bertolini. Es ist aber ebenso denkbar, daß die Kinder (unbewußt) durch ihre Antworten mehr Selbständigkeit bei der Internet-Nutzung suggerieren wollten.

 

zurück (342) Vgl. Kapitel 2.1.3.

 

zurück (343) Die identischen Angaben über den aktuellen und häufigsten Zugangsort waren deshalb entscheidend, weil man in den verbleibenden Fällen zwingend davon ausgehen muß, daß die Kinder sich während des "Ausfüllens" des Fragebogens nicht in dem Umfeld befanden, in dem sie üblicherweise das Internet nutzen.
Ich habe mich bei der Aufschlüsselung beschränkt auf die beiden häufigsten Zugangsorte Schule und eigenes Zuhause.

© Tobias Gehle, 1998

zurück Bookmark für diese Seite: http://www.netz-kids.de vor


[Startseite]  [Abstract]  [Inhalt]  [Literatur]  [Fragebogen]
  [Download]  [Kontakt]  [nach Hause]