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Umfragen im Internet lassen sich hinsichtlich der Gestaltungsmöglichkeiten und der Verbreitung des Fragebogens in zwei Gruppen aufteilen:
Online-Umfragen - egal, ob sie via WWW oder E-Mail durchgeführt werden - haben einige entscheidende Vorteile gegenüber "konventionellen" schriftlichen Datenerhebungsverfahren. Vor allem sind sie forschungsökonomisch interessant. Folgende Pluspunkte lassen sich ausmachen:
Ferner wird dadurch, daß Fragebögen im World Wide Web Multimedia-Elemente
enthalten können, eine völlig neue Form der Datenerhebung möglich:
Der Befragte interagiert mit dem Fragebogen, sein Verhalten und seine Reaktionen im
Multimedia-Umfeld werden aufgezeichnet. Bei entsprechender Konzeption läßt sich
die starre Befragungssituation dadurch auflockern. Die Untersuchung kann gar
so konzipiert werden, daß der Befragte eher den Eindruck hat, ein Spiel zu spielen.
Dies ist insbesondere bei Kindern von großer Bedeutung. (259)
Ein verhältnismäßig einfaches Beispiel hierfür sind die sogenannten Image Maps:
Bei einer Grafik sind verschiedene Bereiche mit bestimmten Werten oder mit Operationen
verbunden. Klickt der Befragte auf diesen Teil der Grafik, so wird eine
neue Seite aufgerufen bzw. ein Programm gestartet (z.B. ein Musik- oder Videoclip).
Allerdings sind Online-Umfragen mit einigen grundlegenden methodischen
Unzulänglichkeiten behaftet. Hauptmanns warnt davor, den Ergebnissen aus
Online-Forschungsprojekten Repräsentativität zu unterstellen. Gleichwohl seien
sie für bestimmte Anwendungszwecke durchaus von Nutzen: "Fragebogentests, Expertenbefragungen
mittels E-Mail oder einem WWW-Fragebogen und explorative Studien sind meines
Erachtens ebenso möglich wie gezielte Befragungen unter den Besuchern einer
Web-Site, um zum Beispiel deren Aufbau oder Inhalte zu optimieren. In all diesen
Fällen ist aber von vornherein zu akzeptieren, daß diese Umfragen in keiner
Weise repräsentativ für die Gesamtheit der Internet-Nutzer in Deutschland oder
gar für die Gesamtbevölkerung sein könnte." (260)
Warum können Fragebogen-Untersuchungen via Internet schwerlich repräsentativ sein?
Zunächst einmal, weil es fast unmöglich ist, eine repräsentative Stichprobe zu ziehen.
Um ein Sample erstellen zu können, müssen hinreichend Informationen über die
Grundgesamtheit bekannt sein. Die meisten empirischen Befunde zur demographischen
Zusammensetzung der Internet-Gemeinde stammen jedoch selbst aus Online-Umfragen.
Bei Untersuchungen, die Vorlieben oder Verhaltensweisen von Internet-Nutzern repräsentativ
abzubilden versuchen und dabei auf diese unsicheren Basisinformationen zurückgreifen,
stehen erhebliche statistische Verzerrungen zu befürchten. (261) Wie groß
muß beispielsweise die Stichprobe sein, um als repräsentativ für die
Gesamtheit der Internet-Nutzer gelten zu dürfen (oder noch schwieriger: für
die Gesamtheit der deutschen Internet-Nutzer)? Allein diese verhältnismäßig einfache
Frage stellt die Forschung vor ein kaum überbrückbares Problem. Zunächst müßte
man nämlich wissen, wieviele Menschen das Internet überhaupt nutzen.
Schätzungen hierzu sind allerdings eher Glaubenssache, als daß sie auf
unanfechtbaren Fakten beruhen. (262) Sollen Online-Umfragen Aufschlüsse geben
über die Gesamtbevölkerung, also nicht nur über alle Personen mit Zugang zum Internet,
wird das Unterfangen noch schwieriger. Denn die Internet-Nutzerschar unterscheidet sich
in ihrer Zusammensetzung erheblich von der Gesamtbevölkerung. Bevölkerungsschichten,
die im Internet nur eine Randgruppe darstellen, werden somit
bei Online-Umfragen unzureichend berücksichtigt. (263) Schmidt hält allerdings
Online-Umfragen gerade dann für besonders geeignet, wenn Bevölkerungsschichten mit
eng umrissenen oder gar marginalen Interessen bzw. sozialen Profilen befragt werden.
Diese ließen sich über die thematisch sehr ausdifferenzierten Net-News direkt ansprechen. (264)
Ein weiteres Problem bei der Bestimmung des Untersuchungssamples: Online-Umfragen
verabschieden sich vom Prinzip der aktiven Rekrutierung einer Zufallsstichprobe.
Textbasierte Fragebögen werden meistens an beliebig ausgewählte Newsgroups und
Mailinglisten verschickt, WWW-Fragebögen in der Regel auf diversen Homepages verlinkt.
Egal, welche Verbreitungsmethode gewählt wird - ob ein Internet-Nutzer an
der Befragung teilnimmt, hängt zum einen davon ab, ob der Fragebogen ihn tatsächlich
erreicht, zum anderen von seinem guten Willen. Wie Bandilla bemerkt, stellt diese
Form der "Selbstrekrutierung" den Wert der Umfrage-Ergebnisse stark in Frage: "Bei
den WWW-Umfragen wird der Selektionseffekt noch entscheidend dadurch verstärkt,
daß es den Personen selbst überlassen bleibt, ob und an welcher Umfrage sie überhaupt
teilnehmen - eine Situation, die gerade in Umfragen mit Zufallsstichproben vermieden
wird. Hier wird über einen Zufallsprozeß ein Sample von Zielpersonen aus der
Grundgesamtheit gezogen, die Zielpersonen werden direkt (entweder telefonisch,
persönlich-mündlich, schriftlich) kontaktiert und der Non-Response wird durch
mehrfache Nachfaßaktionen minimiert." (265) Überdies ist bei Online-Umfragen über
die "Non-Respondents" noch weniger bekannt als ohnehin schon bei Untersuchungen,
die auf einer aktiven Stichprobenzie-hung beruhen. (266)
Schwierigkeiten ergeben sich auch, wenn es darum geht, die Rücklaufquote zu
bestimmen. Bei breit gestreuten E-Mail-Umfragen ist es gänzlich unmöglich,
Aussagen darüber zu machen, wie viele Personen den Fragebogen zwar zur Kenntnis
genommen haben, aber nicht bereit waren, ihn auszufüllen. Bei WWW-Umfragen kann
die Rücklaufquote zumindest annäherungsweise errechnet werden. Die genaueste Methode
besteht darin, die Anzahl der Zugriffe auf die HTML-Dateien zu analysieren,
die den Fragebogen beinhalten. Am genauesten läßt sich diese Besucherfrequenz
durch die Analyse der Log-Files des Servers bestimmen, der die Umfrage-Seiten
beherbergt. Doch auch dieses Verfahren ist nicht ganz fehlerfrei. (267)
Bis hierher habe ich Vorteile und methodische Schwächen von Internet-Umfragen
generell betrachtet und nicht zwischen den technischen Varianten von Online-Fragebögen
unterschieden. Je nachdem, ob eine Umfrage via E-Mail oder WWW lanciert wird,
ergeben sich jedoch auch dienstespezifische methodische Schwächen bzw. Stärken.
Eine E-Mail landet im persönlichen Postkasten des Internet-Nutzers.
Fragebögen, die über diesen Push-Kanal vertrieben werden, haben einen individuelleren
und exklusiveren Charakter als Umfrage-Seiten im World Wide Web. Letztere müssen kräftig
beworben werden, um Personen auf die Befragung aufmerksam zu machen und zur
Teilnahme zu bewegen. Ausgehend von dieser Tatsache wäre zu vermuten, daß Umfragen
via E-Mail und Mailinglisten prinzipiell die höchsten Rücklaufquoten versprechen.
Allerdings reagieren viele Internet-Nutzer allergisch auf Spamming - das massenhafte
Versenden von E-Mails an beliebige Adressaten, deren Anschriften in
einschlägigen Verzeichnissen stehen (z.B. Four11, Bigfoot oder das deutsche Suchen.de).
Ungern gesehen ist es auch, wenn ein und dieselbe Nachricht an zahllose
Newsgroups und/oder Mailinglisten geschickt wird, die schlimmstenfalls absolut
keinen thematischen Bezug zu der gesendeten Nachricht haben. Solche Crosspostings
lösen häufig regelrechte Haßtiraden aus, besonders dann, wenn der Umfang der Nachricht
enorm ist - wie bei Fragebögen allzu üblich. Deshalb rät Batinic ausdrücklich
davon ab, Online-Umfragen via "Postwurfsendung" zu betreiben. (268)
Batinic hat in einer interkulturellen Untersuchungsreihe ferner festgestellt,
daß sich WWW- und E-Mail-Umfragen auch unterscheiden hinsichtlich der Tendenz,
Fragen gemäß sozialer Erwünschtheit (SE) zu beantworten. Die Probanden seiner Untersuchung
antworteten bei den persönlich zugestellten E-Mail-Fragebögen signifikant häufiger
"sozial erwünscht" als bei den WWW-Frageformularen: "Für nachfolgende Internet-basierte
Fra-gebogen-Untersuchungen läßt sich aus diesen Ergebnissen ableiten,
daß sich für Fragestellungen, bei denen die SE-Tendenz minimal gehalten werden sollte,
die weitgehend anonyme WWW-Befragungsmethode anbietet. Spielen jedoch mögliche
'Verfälschungstendenzen' bei der Beantwortung eines Fragebogens keine wesentliche
Rolle (weil zum Beispiel weniger nach Meinungen und Einstellungen mit einer
sozialen Bezugsnorm gefragt wird), könnte das E-Mail-Verfahren vorgezogen werden.
Von einer vergleichbaren Reliabilität der Antworten zwischen den Untersuchungsverfahren
E-Mail- und WWW-Befragung kann auf Basis der vorliegenden Ergebnisse vorerst
ausgegangen werden." (269)
Ein spezifisches Problem von WWW-Umfragen besteht darin, daß sich schwer
feststellen läßt, ob eine Person den Fragebogen mehrmals ausfüllt und damit die
Ergebnisse der Untersuchung verfälscht. Zwar gibt es die Möglichkeit, intelligente
Auswertungsprogramme einzusetzen, die sich des Problems der Mehrfach-Antworten annehmen.
Diese Programme spüren in der Log-Datei des Servers, auf dem die Fragebogen-Seiten
gespeichert sind, mehrfache Zugriffe desselben Netzcomputers auf und
eliminieren die Dopplungen. Werden derlei Verfahren jedoch konsequent eingesetzt,
gehen unter Umständen auch zahlreiche Datensätze verloren, die nicht auf
Mehrfachantworten zurückgehen. (270)
Schließlich sei zum Abschluß des Kapitels auf ein Problem aufmerksam gemacht, das
zwar Online-Umfragen generell betrifft, für die vorliegende Fragebogenaktion aber
von besonderer Bedeutung ist. Bei Online-Umfragen ist es unmöglich zu überprüfen,
wer die Frageformulare ausfüllt. Insbesondere Eltern und Lehrer dürften aber
den Wunsch hegen, meine Umfrage "durchzuchecken", bevor sie ihre Kinder
die Frageformulare ausfüllen lassen. Um zu vermeiden, daß Erwachsene den Fragebogen
durcharbeiten und damit die Ergebnisse verfälschen - entweder aus einem verständlichen
Sicherheitsbedürfnis heraus oder einfach aus Neugier - weise ich auf der
Informationsseite zu dem Forschungsprojekt auf einen separaten Testfragebogen für
Erwachsene hin. Dieser ist von Inhalt, Gestaltung und dramaturgischem Aufbau mit
dem eigentlichen Kinderfragebogen identisch. Die generierten Ergebnisse lassen
sich jedoch ohne weiteres von den Antworten der Kinder trennen. (271)
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(258) Vgl. Batinic, Bernad: How to make an internet based survey? Contribution to SoftStat '97. Umfragen FAQ. Online im Internet 1997. URL: http://www.psychol.uni-giessen.de/~Batinic/survey/faq_soft.htm [Stand 20.8.1998].
(259) Böhme-Dürr rät generell dazu (allerdings mit Blick auf die mündliche Befragung), empirische Untersuchungen mit Kindern als Spielsituation zu deklarieren; vgl. Böhme-Dürr, Karin, a.a.O., S.106. Schon allein aus ethischen Gründen muß meines Erachtens jedoch zu Beginn einer jeden Untersuchung deutlich darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Teilnehmer zur empirischen Datensammlung beitragen.
(260) Hauptmanns, Peter: Empirische Forschung online - Grenzen und Chancen von quantitativen Befragungen mit Hilfe des Internets. Abstract zu einem Vortrag auf der German Online Research '97. Online im Internet 1997. URL: http://infosoc.uni-koeln.de/girlws/abstracts/fr_03.html [Stand 22.8.1998].
(262) Vgl. Batinic, Bernad: Internet-Umfragen-Newsletter. Ausgabe 6 vom 10.3.1997. Online im Internet 1997. URL: http://www.psychol.uni-giessen.de/~Batinic/survey/um6.htm [Stand 20.8.1998].
(263) Vgl. Batinic, Bernad/Bosnjak, Michael: Fragebogenuntersuchungen im Internet, a.a.O., S.231ff.
(264) Vgl. Schmidt, William C.: World-Wide Web Survey Research: Benefits, Potential Problems, and Solutions. IN: Behaviour Research Methods, Instruments & Computers, 29/1997, S.274-279.
(265) Bandilla, Wolfgang: Überlegungen zu Selektionseffekten bei unterschiedlichen Formen der computergestützten Datenerhebung. Abstract zu einem Vortrag auf der German Online Research '97. Online im Internet 1997. URL: http://infosoc.uni-koeln.de/girlws/abstracts/fr_02.html [Stand 20.8.1998].
(266) Vgl. Hauptmanns, Peter, a.a.O.
(267)
Die Unzulänglichkeit dieser Methode hat vor allem technische Gründe;
sie liegt in der Architektur des Internet begründet:
(268) Vgl. Batinic, Bernad: Die Durchführung von Fragebogenuntersuchungen im Internet - ein erster Überblick. Umfragen FAQ. Online im Internet 1997. URL: http://www.psychol.uni-giessen.de/~Batinic/survey/faq3.htm [Stand 20.8.1998].
(269) Batinic, Bernad/Bosnjak, Michael: Zur Äquivalenz von WWW- und E-Mail-Umfragen: Ergebnisse zur Reliabilität und "Sozialen Erwünschtheit". Abstract zu einem Vortrag auf der German Online Research '97. Online im Internet 1997. URL: http://infosoc.uni-koeln.de/girlws/abstracts/fr_10.html [Stand 20.8.1998].
(270) Vgl. dazu die ausführliche technische Diskussion bei Schmidt, William C., a.a.O.
(271) Vgl. zum Aufbau des Fragebogens Kapitel 2.2.2.
© Tobias Gehle, 1998
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