Kinder im Netz

zurück Vorteile und methodische Schwächen von Online-Umfragen vor

Umfragen im Internet lassen sich hinsichtlich der Gestaltungsmöglichkeiten und der Verbreitung des Fragebogens in zwei Gruppen aufteilen:


  1. rein auf Text gestützte Fragebögen, die via E-Mail-Adressenverteiler und/oder Diskussionsgruppen an die Befragten verschickt werden

  2. Fragebögen im World Wide Web. Diese können zum einen ebenfalls vorwiegend textorientiert sein. Der Befragte füllt ein Formular aus, d.h. er trägt in Eingabefelder einen Text ein und kreuzt in einer Multiple-Choice-Liste Antwortalternativen an. Darüber hinaus können WWW-Fragebögen aber auch auf multimediale Präsentationsformen zurückgreifen.

Online-Umfragen - egal, ob sie via WWW oder E-Mail durchgeführt werden - haben einige entscheidende Vorteile gegenüber "konventionellen" schriftlichen Datenerhebungsverfahren. Vor allem sind sie forschungsökonomisch interessant. Folgende Pluspunkte lassen sich ausmachen:


Ferner wird dadurch, daß Fragebögen im World Wide Web Multimedia-Elemente enthalten können, eine völlig neue Form der Datenerhebung möglich: Der Befragte interagiert mit dem Fragebogen, sein Verhalten und seine Reaktionen im Multimedia-Umfeld werden aufgezeichnet. Bei entsprechender Konzeption läßt sich die starre Befragungssituation dadurch auflockern. Die Untersuchung kann gar so konzipiert werden, daß der Befragte eher den Eindruck hat, ein Spiel zu spielen. Dies ist insbesondere bei Kindern von großer Bedeutung. (259)
Ein verhältnismäßig einfaches Beispiel hierfür sind die sogenannten Image Maps: Bei einer Grafik sind verschiedene Bereiche mit bestimmten Werten oder mit Operationen verbunden. Klickt der Befragte auf diesen Teil der Grafik, so wird eine neue Seite aufgerufen bzw. ein Programm gestartet (z.B. ein Musik- oder Videoclip).

Allerdings sind Online-Umfragen mit einigen grundlegenden methodischen Unzulänglichkeiten behaftet. Hauptmanns warnt davor, den Ergebnissen aus Online-Forschungsprojekten Repräsentativität zu unterstellen. Gleichwohl seien sie für bestimmte Anwendungszwecke durchaus von Nutzen: "Fragebogentests, Expertenbefragungen mittels E-Mail oder einem WWW-Fragebogen und explorative Studien sind meines Erachtens ebenso möglich wie gezielte Befragungen unter den Besuchern einer Web-Site, um zum Beispiel deren Aufbau oder Inhalte zu optimieren. In all diesen Fällen ist aber von vornherein zu akzeptieren, daß diese Umfragen in keiner Weise repräsentativ für die Gesamtheit der Internet-Nutzer in Deutschland oder gar für die Gesamtbevölkerung sein könnte." (260)
Warum können Fragebogen-Untersuchungen via Internet schwerlich repräsentativ sein? Zunächst einmal, weil es fast unmöglich ist, eine repräsentative Stichprobe zu ziehen.

Um ein Sample erstellen zu können, müssen hinreichend Informationen über die Grundgesamtheit bekannt sein. Die meisten empirischen Befunde zur demographischen Zusammensetzung der Internet-Gemeinde stammen jedoch selbst aus Online-Umfragen. Bei Untersuchungen, die Vorlieben oder Verhaltensweisen von Internet-Nutzern repräsentativ abzubilden versuchen und dabei auf diese unsicheren Basisinformationen zurückgreifen, stehen erhebliche statistische Verzerrungen zu befürchten. (261) Wie groß muß beispielsweise die Stichprobe sein, um als repräsentativ für die Gesamtheit der Internet-Nutzer gelten zu dürfen (oder noch schwieriger: für die Gesamtheit der deutschen Internet-Nutzer)? Allein diese verhältnismäßig einfache Frage stellt die Forschung vor ein kaum überbrückbares Problem. Zunächst müßte man nämlich wissen, wieviele Menschen das Internet überhaupt nutzen. Schätzungen hierzu sind allerdings eher Glaubenssache, als daß sie auf unanfechtbaren Fakten beruhen. (262) Sollen Online-Umfragen Aufschlüsse geben über die Gesamtbevölkerung, also nicht nur über alle Personen mit Zugang zum Internet, wird das Unterfangen noch schwieriger. Denn die Internet-Nutzerschar unterscheidet sich in ihrer Zusammensetzung erheblich von der Gesamtbevölkerung. Bevölkerungsschichten, die im Internet nur eine Randgruppe darstellen, werden somit bei Online-Umfragen unzureichend berücksichtigt. (263) Schmidt hält allerdings Online-Umfragen gerade dann für besonders geeignet, wenn Bevölkerungsschichten mit eng umrissenen oder gar marginalen Interessen bzw. sozialen Profilen befragt werden. Diese ließen sich über die thematisch sehr ausdifferenzierten Net-News direkt ansprechen. (264)
Ein weiteres Problem bei der Bestimmung des Untersuchungssamples: Online-Umfragen verabschieden sich vom Prinzip der aktiven Rekrutierung einer Zufallsstichprobe. Textbasierte Fragebögen werden meistens an beliebig ausgewählte Newsgroups und Mailinglisten verschickt, WWW-Fragebögen in der Regel auf diversen Homepages verlinkt. Egal, welche Verbreitungsmethode gewählt wird - ob ein Internet-Nutzer an der Befragung teilnimmt, hängt zum einen davon ab, ob der Fragebogen ihn tatsächlich erreicht, zum anderen von seinem guten Willen. Wie Bandilla bemerkt, stellt diese Form der "Selbstrekrutierung" den Wert der Umfrage-Ergebnisse stark in Frage: "Bei den WWW-Umfragen wird der Selektionseffekt noch entscheidend dadurch verstärkt, daß es den Personen selbst überlassen bleibt, ob und an welcher Umfrage sie überhaupt teilnehmen - eine Situation, die gerade in Umfragen mit Zufallsstichproben vermieden wird. Hier wird über einen Zufallsprozeß ein Sample von Zielpersonen aus der Grundgesamtheit gezogen, die Zielpersonen werden direkt (entweder telefonisch, persönlich-mündlich, schriftlich) kontaktiert und der Non-Response wird durch mehrfache Nachfaßaktionen minimiert." (265) Überdies ist bei Online-Umfragen über die "Non-Respondents" noch weniger bekannt als ohnehin schon bei Untersuchungen, die auf einer aktiven Stichprobenzie-hung beruhen. (266)
Schwierigkeiten ergeben sich auch, wenn es darum geht, die Rücklaufquote zu bestimmen. Bei breit gestreuten E-Mail-Umfragen ist es gänzlich unmöglich, Aussagen darüber zu machen, wie viele Personen den Fragebogen zwar zur Kenntnis genommen haben, aber nicht bereit waren, ihn auszufüllen. Bei WWW-Umfragen kann die Rücklaufquote zumindest annäherungsweise errechnet werden. Die genaueste Methode besteht darin, die Anzahl der Zugriffe auf die HTML-Dateien zu analysieren, die den Fragebogen beinhalten. Am genauesten läßt sich diese Besucherfrequenz durch die Analyse der Log-Files des Servers bestimmen, der die Umfrage-Seiten beherbergt. Doch auch dieses Verfahren ist nicht ganz fehlerfrei. (267)
Bis hierher habe ich Vorteile und methodische Schwächen von Internet-Umfragen generell betrachtet und nicht zwischen den technischen Varianten von Online-Fragebögen unterschieden. Je nachdem, ob eine Umfrage via E-Mail oder WWW lanciert wird, ergeben sich jedoch auch dienstespezifische methodische Schwächen bzw. Stärken.

Eine E-Mail landet im persönlichen Postkasten des Internet-Nutzers. Fragebögen, die über diesen Push-Kanal vertrieben werden, haben einen individuelleren und exklusiveren Charakter als Umfrage-Seiten im World Wide Web. Letztere müssen kräftig beworben werden, um Personen auf die Befragung aufmerksam zu machen und zur Teilnahme zu bewegen. Ausgehend von dieser Tatsache wäre zu vermuten, daß Umfragen via E-Mail und Mailinglisten prinzipiell die höchsten Rücklaufquoten versprechen. Allerdings reagieren viele Internet-Nutzer allergisch auf Spamming - das massenhafte Versenden von E-Mails an beliebige Adressaten, deren Anschriften in einschlägigen Verzeichnissen stehen (z.B. Four11, Bigfoot oder das deutsche Suchen.de). Ungern gesehen ist es auch, wenn ein und dieselbe Nachricht an zahllose Newsgroups und/oder Mailinglisten geschickt wird, die schlimmstenfalls absolut keinen thematischen Bezug zu der gesendeten Nachricht haben. Solche Crosspostings lösen häufig regelrechte Haßtiraden aus, besonders dann, wenn der Umfang der Nachricht enorm ist - wie bei Fragebögen allzu üblich. Deshalb rät Batinic ausdrücklich davon ab, Online-Umfragen via "Postwurfsendung" zu betreiben. (268)
Batinic hat in einer interkulturellen Untersuchungsreihe ferner festgestellt, daß sich WWW- und E-Mail-Umfragen auch unterscheiden hinsichtlich der Tendenz, Fragen gemäß sozialer Erwünschtheit (SE) zu beantworten. Die Probanden seiner Untersuchung antworteten bei den persönlich zugestellten E-Mail-Fragebögen signifikant häufiger "sozial erwünscht" als bei den WWW-Frageformularen: "Für nachfolgende Internet-basierte Fra-gebogen-Untersuchungen läßt sich aus diesen Ergebnissen ableiten, daß sich für Fragestellungen, bei denen die SE-Tendenz minimal gehalten werden sollte, die weitgehend anonyme WWW-Befragungsmethode anbietet. Spielen jedoch mögliche 'Verfälschungstendenzen' bei der Beantwortung eines Fragebogens keine wesentliche Rolle (weil zum Beispiel weniger nach Meinungen und Einstellungen mit einer sozialen Bezugsnorm gefragt wird), könnte das E-Mail-Verfahren vorgezogen werden. Von einer vergleichbaren Reliabilität der Antworten zwischen den Untersuchungsverfahren E-Mail- und WWW-Befragung kann auf Basis der vorliegenden Ergebnisse vorerst ausgegangen werden." (269)

Ein spezifisches Problem von WWW-Umfragen besteht darin, daß sich schwer feststellen läßt, ob eine Person den Fragebogen mehrmals ausfüllt und damit die Ergebnisse der Untersuchung verfälscht. Zwar gibt es die Möglichkeit, intelligente Auswertungsprogramme einzusetzen, die sich des Problems der Mehrfach-Antworten annehmen. Diese Programme spüren in der Log-Datei des Servers, auf dem die Fragebogen-Seiten gespeichert sind, mehrfache Zugriffe desselben Netzcomputers auf und eliminieren die Dopplungen. Werden derlei Verfahren jedoch konsequent eingesetzt, gehen unter Umständen auch zahlreiche Datensätze verloren, die nicht auf Mehrfachantworten zurückgehen. (270)
Schließlich sei zum Abschluß des Kapitels auf ein Problem aufmerksam gemacht, das zwar Online-Umfragen generell betrifft, für die vorliegende Fragebogenaktion aber von besonderer Bedeutung ist. Bei Online-Umfragen ist es unmöglich zu überprüfen, wer die Frageformulare ausfüllt. Insbesondere Eltern und Lehrer dürften aber den Wunsch hegen, meine Umfrage "durchzuchecken", bevor sie ihre Kinder die Frageformulare ausfüllen lassen. Um zu vermeiden, daß Erwachsene den Fragebogen durcharbeiten und damit die Ergebnisse verfälschen - entweder aus einem verständlichen Sicherheitsbedürfnis heraus oder einfach aus Neugier - weise ich auf der Informationsseite zu dem Forschungsprojekt auf einen separaten Testfragebogen für Erwachsene hin. Dieser ist von Inhalt, Gestaltung und dramaturgischem Aufbau mit dem eigentlichen Kinderfragebogen identisch. Die generierten Ergebnisse lassen sich jedoch ohne weiteres von den Antworten der Kinder trennen. (271)



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zurück (258) Vgl. Batinic, Bernad: How to make an internet based survey? Contribution to SoftStat '97. Umfragen FAQ. Online im Internet 1997. URL: http://www.psychol.uni-giessen.de/~Batinic/survey/faq_soft.htm [Stand 20.8.1998].

 

zurück (259) Böhme-Dürr rät generell dazu (allerdings mit Blick auf die mündliche Befragung), empirische Untersuchungen mit Kindern als Spielsituation zu deklarieren; vgl. Böhme-Dürr, Karin, a.a.O., S.106. Schon allein aus ethischen Gründen muß meines Erachtens jedoch zu Beginn einer jeden Untersuchung deutlich darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Teilnehmer zur empirischen Datensammlung beitragen.

 

zurück (260) Hauptmanns, Peter: Empirische Forschung online - Grenzen und Chancen von quantitativen Befragungen mit Hilfe des Internets. Abstract zu einem Vortrag auf der German Online Research '97. Online im Internet 1997. URL: http://infosoc.uni-koeln.de/girlws/abstracts/fr_03.html [Stand 22.8.1998].

 

zurück (261) Vgl. ebd.

 

zurück (262) Vgl. Batinic, Bernad: Internet-Umfragen-Newsletter. Ausgabe 6 vom 10.3.1997. Online im Internet 1997. URL: http://www.psychol.uni-giessen.de/~Batinic/survey/um6.htm [Stand 20.8.1998].

 

zurück (263) Vgl. Batinic, Bernad/Bosnjak, Michael: Fragebogenuntersuchungen im Internet, a.a.O., S.231ff.

 

zurück (264) Vgl. Schmidt, William C.: World-Wide Web Survey Research: Benefits, Potential Problems, and Solutions. IN: Behaviour Research Methods, Instruments & Computers, 29/1997, S.274-279.

 

zurück (265) Bandilla, Wolfgang: Überlegungen zu Selektionseffekten bei unterschiedlichen Formen der computergestützten Datenerhebung. Abstract zu einem Vortrag auf der German Online Research '97. Online im Internet 1997. URL: http://infosoc.uni-koeln.de/girlws/abstracts/fr_02.html [Stand 20.8.1998].

 

zurück (266) Vgl. Hauptmanns, Peter, a.a.O.

 

zurück (267) Die Unzulänglichkeit dieser Methode hat vor allem technische Gründe; sie liegt in der Architektur des Internet begründet:

  1. Viele Internet-Nutzer greifen auf sogenannte Proxy-Server zurück. Das sind vernetzte Computer, die häufig aufgerufene Internet-Seiten zwischenspeichern. Greift ein Internet-Nutzer über solch einen lokalen Zwischenspeicher auf eine bestimmte Seite zu, so bekommt er die Dateien unter Umständen nicht von dem Computer zugeschickt, auf dem die Seite eigentlich "zu Hause" ist, sondern von dem Proxy-Server. Dieser Zugriff wird aber in der Log-Datei des Rechners, der die Datei - in unserem Fall die Umfrage-Seite - beinhaltet, nicht vermerkt. Werden diese Proxy-Zugriffe nicht berücksichtigt, so führt dies zur Überschätzung der Rücklaufquote. Allerdings kann der Umfrage-Seite ein "Verfallsdatum" beigefügt werden, das den Proxy-Server dazu zwingt, bei jeder Anfrage die HTML-Datei "frisch" zu laden, was zu einem Eintrag im Log-File des ursprünglichen Hosts führt. Manche Proxy-Server ignorieren jedoch diese Verfallsdaten, sofern sie zu weit zurückliegen.

  2. Einige Internet-Nutzer rufen die Fragebogen-Seite unter Umständen mehrmals auf, beispielsweise weil sie Verbindungsprobleme haben. Diese Mehrfachzugriffe lassen sich nur schwer rausrechnen, es sei denn, für die Auswertung der Untersuchung steht eine genaue Übersicht zur Verfügung, über welche Netz-Rechner wie oft auf die Seite zugegriffen wurden.

  3. Personen, die zwar einen Vermerk zu der Fragebogen-Aktion auf einer anderen WWW-Seite gelesen, den eigentlichen Fragebogen aber letzlich nicht abgerufen haben, bleiben bei der Rücklaufquote unberücksichtigt.
Vgl. dazu ausführlich Batinic, Bernad/Bosnjak, Michael: Fragebogenuntersuchungen im Internet, a.a.O., S.229ff. sowie Schade, Oliver: Hits des Tages. Sinn und Unsinn von Web-Statistiken. IN: iX 11/1996, S.96-106.

 

zurück (268) Vgl. Batinic, Bernad: Die Durchführung von Fragebogenuntersuchungen im Internet - ein erster Überblick. Umfragen FAQ. Online im Internet 1997. URL: http://www.psychol.uni-giessen.de/~Batinic/survey/faq3.htm [Stand 20.8.1998].

 

zurück (269) Batinic, Bernad/Bosnjak, Michael: Zur Äquivalenz von WWW- und E-Mail-Umfragen: Ergebnisse zur Reliabilität und "Sozialen Erwünschtheit". Abstract zu einem Vortrag auf der German Online Research '97. Online im Internet 1997. URL: http://infosoc.uni-koeln.de/girlws/abstracts/fr_10.html [Stand 20.8.1998].

 

zurück (270) Vgl. dazu die ausführliche technische Diskussion bei Schmidt, William C., a.a.O.

 

zurück (271) Vgl. zum Aufbau des Fragebogens Kapitel 2.2.2.

© Tobias Gehle, 1998

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