Kinder im Netz

zurück Kinder, eine besondere Zielgruppe: Implikationen für das inhaltliche und formale Design von Online-Angeboten vor

Kindliche Vorlieben für bestimmte Inhalte und Dienste des Internet hängen unmittelbar zusammen mit der Form ihrer Darbietung. Ob Kinder einzelne Seiten im World Wide Web gern und häufig besuchen, ob sie an Diskussionen in Newsgroups teilnehmen oder eifrig E-Mails schreiben, ist - so banal das auch klingen mag - zunächst einmal eine Frage ausreichender Lese- und Schreibkenntnisse. Das formale und inhaltliche Design von kindgerechten Online-Umgebungen muß den Entwicklungsstand der Kinder bezüglich dieser kommunikativen Schlüsselqualifikation zwingend in Betracht ziehen.
Die Bedeutung des Multimedia-Designs wird nach meinem Dafürhalten allzu häufig unterschätzt bei der Diskussion über das Internet als Freizeit- und Bildungsmedium. Selten wurde bislang wissenschaftlich erörtert, worauf es bei der Erstellung von Online-Umgebungen für Kinder ankommt. (64) Viele Anbieter von vermeintlich kindgerechten Seiten im World Wide Web gestalten ihre Angebote aus dem Bauch heraus, lassen sich allein von ihrer Intuition und ihrem Geschmack leiten. (65) Doch wer sagt, daß das Ergebnis dieses erwachsenen-zentrierten Schaffensprozesses den Bedürfnissen der Kinder gerecht wird? (66)
Ich will hier kein Stilbuch für die Erstellung kinderfreundlicher Online-Umgebungen verfassen, das sich an den pragmatisch orientierte Webmaster richtet. Es ist mir auch nicht möglich, Defizite der Grundlagenforschung auszubügeln. Beides würde den Umfang dieser Arbeit sprengen, ebenso wie ein Abgleich von Ergebnissen aus der Computer-Human-Interface-Forschung (CHI) mit Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie. (67)
Es geht mir vielmehr darum, schlaglichtartig die besonderen Rezeptionsbedürfnisse und Kommunikationsfähigkeiten der Zielgruppe "Kinder" zu beleuchten. Dies ist unabdingbar, um beurteilen zu können, welche Inhalte und Dienste im Internet aufgrund ihrer Darbietungsform für die Nutzung durch Kinder überhaupt in Frage kommen.
Zunächst betrachte ich kurz die Entwicklung von Lese- und Schreibkenntnissen bei Kindern, insbesondere bis zum Abschluß der Grundschule. Denn viele Dienste des Internet fußen ausschließlich auf dem geschriebenen Wort. Im wesentlichen sind dies der Chat, die elektronische Post, Gopher und Internet-News. Und auch auf vielen WWW-Seiten ist das geschriebene Wort ein dominierendes Element.
Sodann gehe ich auf Gestaltungskriterien für den populärsten Dienst des Internet ein: das World Wide Web. Dieses scheint mir aufgrund seiner intuitiv zu beherrschenden Benutzeroberfläche prädestiniert für die jüngsten Online-Nutzer: "Diese 'Anwenderfreundlichkeit' ermöglicht auch Kindern und Jugendlichen den schnellen und leichten Einstieg ins Netz. Die Kenntnis scheinbar kryptischer Befehlsfolgen ist nicht mehr nötig zur Bedienung des Internet. So wie der Computer seinen Siegeszug u.a. mit Hilfe der Maus antrat, erreichte auch das Internet durch die einfachere Bedienung mit 'Mausklick' ein breiteres Publikum." (68) Ich trage einige, weit über die Literatur verstreute Richtlinien für das multimediale Design von Homepages zusammen, die sich an Kinder richten.
Es sei jedoch davor gewarnt, diese Nutzergruppe als monolithischen Block zu betrachten. Denn die Altersspanne von sechs bis 13 Jahren ist groß, die Unterschiede in der Entwicklung sind enorm. "Was für einen Achtjährigen noch 'hip' ist, wird einen Zehnjährigen langweilen; was den Zehnjährigen begeistert, ist für den Achtjährigen wahrscheinlich noch zuviel des Guten. Die Anbieter müssen also Ihre Auftritte genau altersgerecht umsetzen." (69) Es würde jedoch zu weit führen, an dieser Stelle einen altersabhängigen Kriterienkatalog zu entwickeln, der verschiedene Phasen der kognitiven Entwicklung berücksichtigt.
Nicht außer Acht zu lassen ist schließlich auch der Faktor Vorerfahrung. Kinder gleichen Alters gehen mitunter sehr unterschiedlich an das Internet heran, sie bewegen sich sicher oder weniger sicher innerhalb dieser Medienwelt, weil sie zuvor mehr oder minder intensiven Kontakt mit ihr hatten.



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zurück (64) Dies trifft im übrigen nicht nur auf Online-, sondern auch auf Offline-Multimedia zu; vgl. Hannafin, Michael J./Park, Innwoo: Empirically-based guidelines for the design of interactive multimedia. IN: Educational Technology Research and Development 3/1993, S.63-85.

 

zurück (65) Vgl. dazu Kapitel 1.4.

 

zurück (66) Für Druin und Solomon ist es unerläßlich, daß Kinder in den Prozeß der Produktion von Multimedia-Umgebungen eng einbezogen werden. Andernfalls ist die Gefahr sehr groß, daß die Entwickler im kreativen Eifer an den Bedürfnissen ihrer Zielgruppe vorbeischlittern. Die Autorinnen beschreiben grundsätzlich unterschiedliche Herangehensweisen beim Multimedia-Design für Kinder in Druin, Allison/Solomon, Cynthia: Designing Multimedia Environments for Children. Computers, creativity, and kids. New York u.a. 1996, S.193ff.

 

zurück (67) Es wäre beispielsweise denkbar, Anleihen bei Jean Piaget zu machen und sein Stufenmodell der kognitiven Entwicklung auf das kindliche Verständnis für computervermittelte Inhalte und Darstellungsformen zu übertragen; Lucena beispielsweise hat Grundsätze des CHI-Designs mit Piagets Modell abgeglichen. Aus der theoretischen Analyse leitete sie Kriterien ab für die Entwicklung eines speziellen Kinder-E-Mail-Programms; vgl. Lucena, Marisa W.F.P.: Analysis of the Resources to Construct User Interfaces and of the Fundamentals of Interface Design - Preliminary Proposal for an Electronic Mail System for Children. Online im Internet 1994. URL: http://csgwww.uwaterloo.ca/~marisa/publicat/exame/cowan.html [Stand 22.8.1997].
Zu Piagets Stufenmodell kognitiver Entwicklung vgl. Piaget, Jean: Psychologie der Intelligenz. Zürich/Stuttgart 1970.

 

zurück (68) Kind, Thomas: Kinder im Netz. IN: Mattusch, Uwe (Hrsg.): Kinder und Bildschirmwelten. Siegen 1997, S.91-100; hier S.92.

 

zurück (69) Tamberg, Daniel: Next Generation. Internet-Kids. IN: internetworld 2/1998, S.38-42; hier S.39.

© Tobias Gehle, 1998

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