Kinder im Netz

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Schon bevor PICS entwickelt wurde, gab es spezielle Filterprogramme, mit denen Eltern ihre Kinder gegen potentiell schädliche Inhalte aus dem Netz abschirmen konnten. Mittlerweile sind zahlreiche weiterentwickelte Produkte auf dem Markt, die zumeist Bewertungen nach dem PICS-Standard unterstützen und darüber hinaus einige Features für die flexiblere Kontrolle bieten. (230) Die meisten Hersteller koppeln ihre Software an eigene Listensysteme, entweder an Negativ- oder Positivlisten.
Negativlisten waren vor allem bei der ersten Generation der Filterprogramme weit verbreitet. Sie enthalten Adressen von Seiten mit beispielsweise sexuellen oder gewaltverherrlichenden Inhalten. "Wählt" das Kind eine Internet-Adresse an, so wird erst geprüft, ob die angeforderte Seite auf der Liste steht. Ein Beispiel für eine Liste dieser Art ist CyberNOT, gekoppelt an den Filterprogramm-Klassiker Cyper Patrol (vgl. Abbildung 1.16). Bei diesem Negativsystem stellt sich allerdings das Problem, daß die Verzeichnisse ständig aktualisiert werden müssen. Heute werden häufig Positivlisten verwendet, die eine große Anzahl von empfehlenswerten oder unbedenklichen Adressen aufführen. Nur auf diese hat das Kind Zugriff. Hier stellt sich allerdings ein ähnliches Problem wie bei PICS-Labels: Welche Seiten ein Kind besuchen kann, legt letzten Endes der Softwarehersteller fest. Einige dieser Programme bieten aber die Möglichkeit, die Liste zu editieren. Auch der Zugriff auf mehrere Verzeichnisse gleichzeitig ist möglich. Wie häufig die Listen aktualisiert werden, hängt vom Anbieter ab.
Einige dieser Programme durchsuchen auch die abgefragte Seite zunächst auf bestimmte Kraftwörter, bevor sie angezeigt wird. Das funktioniert auch bei Newsgroups oder sogar persönlichen E-Mails - hier werden Kraftausdrücke oder unanständige Worte geschwärzt, oder die Nachricht wird gar nicht erst angezeigt. Auch ganze Newsgroups können gesperrt werden. Eltern können ihre Kinder auch daran hindern, persönliche Informationen wie das Geburtsdatum, den Wohnort oder die Telefonnummer weiterzugeben, indem sie diese Angaben auf eine Tabu-Liste setzen. Einige Programme haben auch eine History-Funktion: Die Eltern können nachvollziehen, auf welchen virtuellen Pfaden ihre Sprößlinge gewandelt sind. Programme wie Cybersitter, Cyber Snoop oder Net Nanny sucht man auf dem deutschen Markt allerdings vergebens.

Abbildung 1.16
Abb. 1.16: Bedienungsfenster des Filterklassikers "Cyber Patrol".

In den USA engagieren sich seit einigen Jahren "free-speech-organisations" für die Redefreiheit im Internet. Sie lehnen Standards wie PICS ab und werfen der Regierung und den Softwarefirmen vor, sie übten öffentliche und private Zensur aus unter dem Vorwand, ein "sauberes Netz" schaffen zu wollen. (231) Grotesk mag es erscheinen, daß sich mittlerweile gar eine amerikanische Gruppe von Kindern und Jugendlichen formiert hat, die gegen Filtertechnologien aufbegehrt: Peacefire, gegründet von dem jungen New Yorker Bennet Haselton, hat sogar ein Programm entwickelt, mit dem sich die normalerweise verschlüsselt übermittelte Liste von CYBERsitter "knacken" läßt. (232) Auch hierzulande regen sich erste Stimmen, die der Filtertechnologie kritisch gegenüberstehen. So gibt Medosch zu Bedenken, potente Softwarefirmen könnten Sites auf ihre Listen setzen, die nicht gerade das geistige Wohl von Kindern gefährden, sondern ihnen schlichtweg nicht "in den Kram" passen. (233)

Technisch ausgereift sind die Filterprogramme überdies auch noch lange nicht. Detlef Borchers nennt einige frappierende Unzulänglichkeiten: "Kernstück von Cyber Patrol ist die sogenannte CyberNOT-Liste voll gesperrter Netzangebote. Ein kleiner Selbsttest zeigt das Problem: Nachdem mein Sohn in einem Fußballspiel haushoch verloren hatte, wurde er von seiner texanischen Brieffreundin per E-Mail getröstet. Der Brief wurde von Cyber Patrol abgeschmettert. 'Weine nicht', stand da, was ein Verstoß gegen die Patrol-Kategorie 12 war, die alles ausschließt, was von Weinen handelt: 'Materialien, die mit dem Verkauf oder dem Konsum alkoholischer Getränke in Zusammenhang stehen', meldete das aufgeweckte Programm. (...) Der Cybersitter schließt nicht nur Homosexualität in allen Formen aus, sondern macht mit allen Abwandlungen von feminism Schluß, also auch mit simplem Feminismus. Cyber Patrol wendet diese Stammworttechnik auf Adressen an. Es speichert nicht den vollständigen Namen einer problematischen Surfstelle, sondern nur die ersten drei Buchstaben. Die Sammlung okkulter Riten von Shawn Knight an der Carnegie Mellon University wird mit der Adresse 'andrew.cmu.edu/user/shawn/occult' geblockt - weitere 23 Web-Seiten, die mit 'sha' beginnen, sind ebenfalls gesperrt. (...) Ähnlich rigoros geht NetNanny mit Mailing-Listen um. Das sind E-Mail-Verteiler zu speziellen Themen; vor allem Wissenschaftler lieben sie als Diskussionsmedium. NetNanny blockiert nun nicht einzelne problematische Listen, sondern den Namen des Computers, der die Mails verschickt. Ganze Universitäten werden so kindersicher versenkt." (234)



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zurück (230) Eine gute Übersicht, was einzelne Programme leisten, bietet folgender Artikel: Munro, Kathryn: PC Magazine – The 1997 Utility Guide – Filtering Utilities. Online im Internet 1997. URL: http://www.zdnet.com/pcmag/features/utility/filter/_open.htm [Stand 22.8.1998]. Eine weitere Liste verfügbarer Software findet sich unter http://larrysworld.com/parental_control.html.

 

zurück (231) Vgl. dazu auch Harel, Idit: Kids and the Web: a Metaview. Rede bei der Siggraph 1996 in New Orleans. Online im Internet 1996. URL: http://www.mamamedia.com/Harel/SIGGRAPH96/speech/speech.html [Stand 22.8.1998]. Harel sieht im Einsatz von Filtertechnologien eine Entmündigung der Kinder.

 

zurück (232) Vgl. http://peacefire.org/info/faq.shtml [Stand 29.9.1997]; vgl. zu Peacefire auch Dietz-Lenssen, Matthias, a.a.O., S.13f.

 

zurück (233) Vgl. Medosch, Armin: Teenies gegen Zensur. Wird Eltern-Kontroll-Software zum allgemeinen Zensurinstrument? IN: Telepolis vom 12.12.1996. Online im Internet 1996. URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/1090/1.html [Stand 22.8.1998].

 

zurück (234) Borchers, Detlef: Hilflose Hüter. Kindersicherungen im Internet. IN: Bollmann, Stefan/Heibach, Christiane: Kursbuch Internet, a.a.O., S.136-137; hier S.137.

© Tobias Gehle, 1998

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