Kinder im Netz

zurück Kontrolle des Internet im Spannungsfeld von freier Meinungsäußerung und Jugendschutz vor

Im August 1997 trat in Deutschland ein Gesetz in Kraft, das Online-Diensteanbieter für strafrechtlich relevante und jugendgefährdende Inhalte in die Verantwortung nimmt. Das Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz (IuKDG) (208) weitet die Strafbarkeit der Verbreitung von Inhalten, die nach den allgemeinen Gesetzen rechtswidrig sind, auf Online-Dienste und das Internet aus. Allerdings sind Online-Dienste wie T-Online, AOL und CompuServe sowie Zugangsvermittler wie GermanyNet oder UUnet nur für Serviceleistungen verantwortlich, die sie selbst zur Verfügung stellen. Sie können nicht haftbar gemacht werden für Inhalte im weltweiten Internet, zu denen sie nur den Zugang vermitteln. Provider und Online-Dienste müssen den Weg zu "fremden" rechtswidrigen Inhalten jedoch versperren, sofern sie ihnen bekannt sind und die Blockierung technisch möglich und zumutbar ist. (209) Das IuKDG ergänzt auch das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften. Den Zugang zu letzteren dürfen Diensteanbieter nur vermitteln, "wenn durch technische Vorkehrungen Vorsorge getroffen ist, daß das Angebot oder die Verbreitung im Inland auf volljährige Nutzer beschränkt werden kann." (210) Wer elektronische Informations- und Kommunikationsdienste zur Verfügung stellt, die jugendgefährdende Inhalte enthalten können, muß ferner einen Jugendschutzbeauftragten bestellen. "Erlöst" wird der Diensteanbieter von dieser Vorschrift nur, wenn er sich einer Organisation der freiwilligen Selbstkontrolle anschließt. Diese übernimmt dann die Beratung von Nutzern in Fragen des Jugendschutzes und kann dem Diensteanbieter vorschlagen, den Zugang zu bestimmten Angeboten zu beschränken.
Kritiker des Gesetzes halten die Formulierungen für schwammig. Können deutsche Provider und Online-Dienste nun belangt werden, wenn über ihre Datenleitungen auf strafbare Inhalte zugegriffen wird, oder nicht? Anders gefragt: Wann ist eine Sperrung illegaler Inhalte zumutbar, (211) etwa dann, wenn ein ganzer Server gesperrt wird, nur weil darauf eine einzige rechtlich bedenkliche Web-Seite liegt? Die deutsche Online-Industrie könnte - wird das Gesetz streng von der Justiz ausgelegt - zur Vorbeugung rechtlicher Konsequenzen einen elektronischen Schutzwall rund um Deutschland errichten. (212) Das aber würde der Philosophie des Internet zuwiderlaufen. Der internationale Charakter des Internet stellt die Inhaltskontrolle vor ein schwieriges Problem: Was in Deutschland illegal ist, muß noch lange nicht in anderen Ländern verboten sein. Jugendschutzbestimmungen sind ebenfalls überall unterschiedlich.
Die Architektur des Internet macht es außerdem unmöglich, einzelne Web-Seiten gezielt zu sperren. (213) Die Bestimmungen des Multimedia-Gesetzes IuKDG laufen somit ins Leere.
Nichtsdestotrotz ist die deutsche Online-Industrie entschlossen, gegen illegale Inhalte vorzugehen und somit auch ein kindersicheres Surfen möglich zu machen. So zum Beispiel das Electronic Commerce Forum (ECO) - ein Zusammenschluß verschiedener Service-Provider, Verlage sowie Soft- und Hardwarehersteller (u.a. Springer-Verlag, Point of Presence GmbH, Netcologe, IBM Deutschland, CERFnet Germany) (214). Im Juni 1996 grün-dete ECO die Internet Content Task Force (ICTF), die sich als Organ der freiwilligen Selbstkontrolle versteht. (215) Die ICTF hat sich vorgenommen, zunächst den Informationsaustausch in Newsgroups auf illegale Inhalte hin genauer unter die Lupe zu nehmen. (216) Im September 1996 hat ECO außerdem einen Internet-Medienrat gegründet. Dieser visiert das Ziel an, "außerhalb politischer Gremien und außerhalb der Verbände einen Ansatz für eine sozialverträgliche Integration des Internet in unsere Gesellschaft zu entwickeln." (217) Dafür will der Medienrat Einfluß nehmen auf die Multimedia-Gesetzgebung.
Im Juli 1997 gründeten namhafte Onlineanbieter und Verlagsverbände (218) die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia Diensteanbieter (FSM). Ähnlich wie der Presserat soll sie als Beschwerdestelle dienen. Der eingetragene Verein nimmt Hinweise entgegen auf rechtswidrige Inhalte in Online-Medien sowie auf jugendgefährdende Publikationen, bei denen die Gefahr besteht, daß sie für Minderjährige zugänglich sein könnten. Die FSM kann Rügen aussprechen, ferner verpflichten sich die Mitglieder auf einen Verhaltenskodex. (219)



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zurück (208) Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste (Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz -IuKDG) in der Fassung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 13. Juni 1997. Online im Internet 1997 (PDF und HTML). URL: http://www.iid.de/rahmen/iukdg.html [Stand 22.8.1998]. Diensteanbieter sind nach der Definition des Gesetzestextes "natürliche oder juristische Personen oder Personenvereinigungen, die eigene oder fremde Teledienste zur Nutzung bereithalten oder den Zugang zur Nutzung vermitteln", ebd. S.5; vgl. auch Garstka, Hansjürgen: Neues Multimediarecht: Neue Pflichten, mehr Verantwortung. IN: medien und erziehung 1/1998, S.7-9.

 

zurück (209) Vgl. ebd., S.5. Vgl. dazu auch Schulzki-Haddouti, Christiane: Bundestag beschließt Multimediagesetz. Jetzt kann der Wahnsinn beginnen... IN: Telepolis vom 13.6.1997. Online im Internet 1997. URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/1220/1.html [Stand 22.8.1998].

 

zurück (210) Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste, a.a.O., S.22.

 

zurück (211) Vgl. Medosch, Armin: Kontrollgesellschaft im Nacken. Erneute Internet-Zensur gegen xs4all wegen "Radikal" wirft demokratiepolitische Fragen auf. IN: Telepolis vom 22.4.1997. Online im Internet 1997. URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/1177/1.html [Stand 22.8.1998]. Vgl. dazu die Diskussion über die Verhältnismäßigkeit der Mittel zur Gewährleistung des Jugendschutzes bei Dittler, Ullrich: Viel Wind um Nichts oder: Datennetze und Cybersex. IN: JMS-Report 1/1996, S.4f.

 

zurück (212) Vgl. Schulzki-Haddouti, Christiane: Bundestag beschließt Multimediagesetz, a.a.O.; vgl. dazu auch die Diskussion um den Communications Decency Act (CDA) in den USA: Gröndahl, Boris: Privatisierung der Zensur. IN: SPIEGEL Online 34/1997. Online im Internet 1997. URL: http://www.spiegel.de/netzweltarc/jump.phtml?channel=netzweltarc&rub=02&cont=themen/rating.html [Stand 22.8.1998]; Illegale und schädigende Inhalte im Internet, a.a.O., S.19f.; ferner den Gesetzestext: Communications Decency Act of 1996. Online im Internet 1996. URL: http://www.epic.org/cda/cda.html [Stand 22.8.1998]. Nach einer heftigen öffentlichen Debatte erklärte der oberste US-Gerichtshof den CDA im Juni 1997 für verfassungswidrig; vgl dazu die Entscheidung: Supreme Court of the United States - Entscheidung zum Communications Decency Act (CDA). Online im Internet. URL: http://www2.epic.org/cda/cda_decision.html [Stand 22.8.1998].

 

zurück (213) Die damit verbundenen Konsequenzen illustrierte sehr plastisch der Fall "Radikal": Am 11. April 1997 blockierte das Deutsche Forschungsnetz (DFN), das alle deutschen Universitäten vernetzt, seine Leitungen zum niederländischen Server Xs4all (spricht sich ironischerweise "access-for-all"). Das DFN folgte damit einer Aufforderung der Generalbundesanwaltschaft. Diese hatte auf einen nach deutschem Strafrecht illegalen Beitrag aufmerksam gemacht, der auf dem niederländischen Rechner liege, die Ausgabe 154 der in Deutschland verbotenen Zeitschrift "Radikal". Da eine Sperrung von einzelnen Daten auf einem Internet-Rechner nicht möglich ist, unterband das DFN den gesamten Datenverkehr zu Xs4all und blockierte damit all rund 6000 Angebote des Servers. Der "Radikal"-Artikel wurde daraufhin an über 40 anderen Stellen "gespiegelt", d.h. die Daten wurden auf andere Netzcomputer kopiert und damit auch für DFN-Nutzer wieder zugänglich. Die "Radikal"-Ausgabe 154 kursierte überdies in zwei deutschen Newsgroups. Zehn Tage nach Beginn der Blockadeaktion klemmte das DFN den niederländischen Rechner wieder an. Vgl. dazu u.a. Medosch, Armin: Kontrollgesellschaft im Nacken, a.a.O.

 

zurück (214) Eine aktuelle Mitgliederliste ist unter der URL http://www.eco.de/mitglied.htm zu finden.

 

zurück (215) Vgl. Pressemitteilung des "Electronic Commerce Forum" vom 5. Juni 1996. Online im Internet 1996. URL: http://www.anwalt.de/eco/Pr960605.htm [Stand 22.8.1998].

 

zurück (216) Vgl. zu den konkret geplanten technischen Maßnahmen Radikal. IN: Internet Intern Newsletter vom 2.10.1997. Online im Internet 1997. URL: http://www.intern.de/96/18/02.htm [Stand 28.8.1998].

 

zurück (217) Rötzer, Florian: Der deutsche Internet Medienrat. Florian Rötzer sprach mit Michael Schneider. IN: Telepolis vom 7.10.1997. Online im Internet 1997. URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/1067/1.html [Stand 22.8.1998]. Michael Schneider ist Initiator und Gründungsmitglied des Medienrates. Vgl. auch Resolution des Internet-Medienrates (verabschiedet anläßlich der konstituierenden Sitzung am 24.09.1996 in Bonn). Online im Internet 1996. URL: http://www.anwalt.de/Medienrat/Resolution.htm [Stand 28.8.1998].

 

zurück (218) Mitglieder sind u.a.: Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, der Bundesverband Informationsanbieter Online, die Deutsche Telekom, das Electronic Commerce Forum, Microsoft und der Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation.

 

zurück (219) Vgl. Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia Diensteanbieter e.V. Wir über uns. Online im Internet. URL: http://www.fsm.de/ [Stand 22.8.1998]; ferner Schulzki-Haddouti, Christiane: Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia. Internet fast jugendfrei? IN: Telepolis vom 12.10.1997. Online im Internet 1997. URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/1303/1.html [Stand 22.8.1998].

© Tobias Gehle, 1998

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