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Das Internet ist kein alles verschluckendes Medienmonster. Es macht Kinder
nicht zu sexbesessenen Atombomben-Bastlern. Die bisweilen insbesondere in
der Publikumspresse himmelschreiend hysterisch geführte Debatte legt allerdings
das Gegenteil nahe. "Hier findet etwas statt, was in Deutschland nicht neu
ist; die Gleichsetzung eines - beliebigen - Mediums mit Jugendgefährdung.
Diese Stigmatisierung findet meist zu dem Zeitpunkt statt, an dem ein neues
Medium dabei ist, von einem nur von Randgruppen genutzten Medium zu einer
alters- und sozialstrukturenübergreifenden Verbreitung zu gelangen." (127)
Längst hat sich in vielen Köpfen das Bild vom Sündenpfuhl Internet festgesetzt,
in dem Kinder schlichtweg nichts zu suchen haben. Ich bezweifele aber,
daß die oftmals sehr emotional und einseitig geführte Diskussion verunsicherten
Eltern und Erziehungspersonen die faire und vorbehaltlose Auseinandersetzung mit
dem Medium Internet erleichtert. Viele Erwachsene haben sicherlich
begründete Berührungsängste. "Keineswegs betreffen diese Ängste nur
den Bereich der Kinderwelt, sie spiegeln eher die Befürchtungen der 'Erwachsenen'
im allgemeinen wider und belegen deren Ohnmachtsgefühle gegenüber einem
als dominant empfundenen Technikangebot. Diese Ängste sind (...) nicht neu
und werden in der Soziologie mit dem Begriff 'Moralpanik' belegt." (128)
Es bringt jedoch herzlich wenig, Extrempositionen zu besetzen.
Es hilft auch nicht, "sich pädagogisch in die Brust zu werfen und
ähnlich wie im Kampf um die Schundliteratur nun dem Internet generell den
Krieg zu erklären". (129) Ich kann mich nur Kind anschließen,
der fordert, "(...) ein Erlernen von allgemeiner, gesellschaftlicher
(sozialer und ethischer) Kompetenz zu forcieren, bei gleichzeitiger
Ausbildung zur Medienkompetenz. Weniger das Verbieten von Inhalten,
als vielmehr das Gestalten und Erstellen von 'guten' Angeboten im Netz
sollte im Vordergrund stehen." (130)
Ich möchte in diesem Abschnitt meiner Arbeit das Gefährdungspotential des Internet untersuchen. Es geht mir außerdem darum, einige absehbare Änderungen der kindlichen Lebens- und Medienwelt zu thematisieren. Dabei konzentriere ich mich auf drei Aspekte, die mir für Internet-Nutzer im Kindesalter von besonderer Bedeutung zu sein scheinen: Pornographie und sexueller Mißbrauch im Internet, Einflußnahme durch kommerzielle Botschaften und mögliche Auswirkungen elektronischer Kommunikation auf die kindliche Schreib- und Lesekultur.
Aus Platzgründen habe ich auf die eher allgemeine Diskussion über Gewalt im Internet (131), über Suchterscheinungen (132) sowie über die Bedeutung für den Realitätssinn des Menschen, sein Identitätsempfinden und Sozialverhalten (133) verzichtet.
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(127) Dittler, Ullrich: Jugendgefährdung durch Horror im Internet. IM: JMS-Report 5/1996, S.5f.
(128) Kind, Thomas, a.a.O., S.94. Den Begriff der Moralpanik hat der Soziologe Stanley Cohen geprägt; vgl. Schetsche, Michael: Sexuelle Botschaften via Internet. Ausgewählte Ergebnisse einer explorativen Studie. IN: Gräf, Lorenz/Krajewski, Markus: Soziologie des Internet. Handeln im elektronischen Web-Werk. Frankfurt 1997. S.235-256; hier S.235.
(129) Moser, Heinz: Neue mediale, "virtuelle" Realitäten. Ein pädagogisches Manifest. IN: medien praktisch 3/1997, S.10-15; hier S.14.
(130) Kind, Thomas, a.a.O., S.98f.
(131) Vgl. hierzu u.a. Dittler, Ullrich: Jugendgefährdung durch Horror im Internet, a.a.O.; Müller, Petra: Jugendmedienschutz und Multimedia. IN: Ebbert, Birgit/Lilienfein, Klaus-Peter (Hrsg.): Schöne neue Welt? Multimedia - ein Thema für Jugendschutz und Pädagogik. Stuttgart 1996, S.106-114.
(132) In den USA firmiert Internet-Sucht unter der klinischen Bezeichnung "Internet Addiction Disorder" (IAD). Vgl. zur Internet-Sucht allg. King, Storm A.: Is the Internet Addictive, or Are Addicts Using the Internet? Online im Internet 1996. URL: http://rdz.stjohns.edu/~storm/iad.html [Stand 27.8.1998]; Suler, John: Computer and Cyberspace Addiction. Online im Internet 1996. URL: http://www1.rider.edu/~suler/psycyber/cybaddict.html [Stand 27.8.1998]; Suler, John: Why is This Thing Eating My Life? Computer and Cyberspace Addiction at the "Palace". Online im Internet 1996. URL: http://www1.rider.edu/~suler/psycyber/eatlife.html [Stand 27.8.1998]; Young, Kimberly S.: What Makes the Internet Addictive: Potential Explanations for Pathological Internet Use. Paper presented at the 105th annual conference of the American Psychological Association, August 15th, 1997, Chicago. Online im Internet 1997. URL: http://www.netaddiction.com/articles/habitforming.htm [Stand 27.8.1998].
(133)
Vgl. hierzu u.a. Becht, Stefan: Auf des Messers Schneide.
Über Wirklichkeiten, Identität, die Lust, ein anderer zu sein und
einmal Lieber Gott im Netz zu spielen. IN: Bollmann, Stefan/Heibach, Christiane (Hrsg.),
a.a.O., S.439-447; Bente, Gary/Otto, Ingolf: Virtuelle Realität und
parasoziale Interaktion. Zur Analyse sozioemotionaler Wirkungen computersimulierten
nonverbalen Kommunikationsverhaltens. IN: Medienpsychologie 3/1996, S.217-242;
Bruckman, Amy Susan, a.a.O.; Döring, Nicola: Einsam am Computer?
Sozialpsychologische Aspekte der Usenet Community. IN: Schoenleber, Claus (Hrsg.):
2. Kieler Netztage '94. Kongreßband. Kiel 1994, S.7-38;
Döring, Nicola: Identitäten, Beziehungen und Gemeinschaften im Internet.
IN: Batinic, Bernad (Hrsg.): Internet für Psychologen, a.a.O., S.299-336;
Musfeld, Tamara: MUDs oder das Leben im Netz. Zwischen Alltag,
Spiel und Identitätssuche. IN: medien praktisch 2/1997, S.23-26;
Vogelsang, Waldemar: Virtuelle Erlebniswelten. Computer- und Netzfreaks auf
der Suche nach anderen Wirklichkeiten. IN: medien praktisch 2/1997, S.27-32;
Medosch, Armin: Macht uns das Netz einsam und depressiv?
Ergebnisse eines Feldversuchs über Internet-Heimnutzung in Familien.
IN: Telepolis vom 1.9.1998. Online im Internet 1998.
URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/1543/1.html
[Stand 4.9.1998]; Moser, Heinz, a.a.O.;
Schmidtbauer, Michael/Löhr, Paul: Internet-Kompetenz für Kinder, a.a.O.;
Stang, Richard: Jenseits der Wirklichkeit. "Virtual Reality" und "Cyberspace"
als Herausforderung für die Medienpädagogik. IN: medien praktisch 3/1992, S.22-26;
Turkle, Sherry: Identität in virtueller Realität. Multi User Dungeons als
Identity Workshops. IN: Bollmann, Stefan/Heibach, Christiane (Hrsg.), a.a.O., S.315-331;
Turkle, Sherry: Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet. Reinbeck 1998.
Vgl. ferner allg. zum Einfluß des Computers auf das Denken von Kindern,
ihren Realitätssinn und ihr Sozialverhalten u.a.: Eurich, Claus: Computer-Kinder.
Wie die Computerwelt das Kindsein zerstört. Reinbeck 1985;
Papert, Seymour: Mindstroms. Kinder, Computer und Neues Lernen.
Basel/Boston/Stuttgart 1982;
Turkle, Sherry: Die Wunschmaschine. Vom Entstehen der Computerkultur. Reinbeck 1984.
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