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"Kinder, die ihre Freizeit am Rechner verbringen, sind weder Stubenhocker noch vereinsamte Individuen, denn das Freizeitverhalten der Computerkinder weist keine signifikant unterschiedlichen Muster zu den Computerabstinenten auf. Computerkinder können sich auf ebenso viele Freunde und Bekannte stützen und erfahren sogar eine verstärkte Betreuung und Hilfe am Rechner durch Eltern." (30) Bei den wenigsten Computerkids nimmt der PC einen erheblichen Anteil des Zeitbudgets ein. Die 93er Dinofon-Erhebung zeigte, daß etwas mehr als jeder fünfte Computernutzer täglich vor dem Monitor sitzt, 55 Prozent mehrmals pro Woche und knapp ein Viertel (24 Prozent) seltener. (31) Allerdings belegte die 95er Nachfolgeuntersuchung, daß analog zu den Befunden zum Fernsehkonsum auch der Besitz eines eigenen Computers die Nutzungszeiten ansteigen läßt. Die These, daß für den Computer aufgebrachte Zeit zu Lasten der Beschäftigung mit anderen Medien geht, konnte die ZDF-Untersuchung aus dem Jahre 1995 jedoch widerlegen. Weiler kommt zu dem Schluß: "Computerkids besitzen und nutzen häufiger Mediengerätschaften - inklusive Gameboys, die zumeist als Einstieg in die Computerwelt der PC-Anwendungen dienen. (...) Computerkids können insgesamt als eher vielfältig interessierte und aktive Kinder bezeichnet werden, deren Interessen und Freizeitaktivitäten breiter gestreut sind. Sie lesen mehr und nutzen verstärkt alle audiovisuellen Möglichkeiten." (32)
Diese Ergebnisse der Dinofon-Erhebungen werden gestützt von der Bielefelder Fragebogenstudie "Evaluation der Video- und Computerspielkultur bei Heranwachsenden". (33) Fromme - einer der Koordinatoren des Projektes - kommt zu dem Schluß, "daß Video- und Computerspiele ein wichtiges Medium des Zeitvertreibs sind und in der modernen bzw. postmodernen Zeitstruktur für Kinder vor allem als Zeitüberbrücker und Lückenfüller interessant sind. Dies bestätigt indirekt die These, daß diese Medien aus der Sicht der Kinder keine besonders bedeutsamen Elemente der Freizeitgestaltung sind (...)." Fromme stellt die Hypothese auf, "daß die Computerspiele nicht an die Stelle anderer Freizeitaktivitäten treten, sondern einfach hinzukommen, und zwar (...) vor allem für Leerzeiten." (34) Ferner hätten Kinder ein großes Interesse am geselligen Bildschirmspiel im Freundeskreis. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß der Computer quasi per se ein isolierendes Medium ist. Übereinstimmend hält Petzold als Ergebnis einer Befragung von Kindern und Jugendlichen zur sozialen Dimension des Bildschirmspiels fest: "Wenn die Kinder am Computer sitzen, dann sitzen sie dort häufig nicht allein. Auch solche Spiele, die nur fürs Alleinspielen konstruiert sind, werden regelwidrig - aber kreativ - gemeinsam mit Freunden gespielt ("ich laufe, du schießt") (...)." (35)
Welches sind die populärsten Computeranwendungen? Weiler macht wie die meisten Autoren früherer Studien das Spielen am PC als die beliebteste Beschäftigung aus (vgl. Tabelle 1.5). Er betont jedoch, daß der überwiegende Teil der Kinder den Computer zu den unterschiedlichsten Zwecken einsetzt. Beim Vergleich der beiden Dinfon-Erhebungen aus den Jahren 1993 und 1995 kam sogar heraus, daß der Computer als reines Spielzeug an Bedeutung verliert: "Der Trend geht eindeutig von der reinen Spieltätigkeit zur multifunktionalen Nutzung. Diese beinhaltet sowohl die traditionellen PC-Anwendungen als auch die neuen Möglichkeiten, die sich beispielsweise mit den Internet-Angeboten, Online-Diensten und Chat-Foren im Netz eröffnen." (36)
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Die Dinofon-Erhebung von 1995 zeigt: Jungen spielen, malen und schreiben eher, während Mädchen tendenziell mehr zu Lerninhalten, zum Rechnen und zu musischen Tätigkeiten neigen. Heidtmann stellt hierzu fest: "Es gibt zwar bereits bei kleineren Kindern divergierende Software-Interessen, im Ansatz erkennbare geschlechtsspezifische Unterschiede bei den bevorzugten Genres und Themen, ansonsten greifen aber heute auch Mädchen im Vor- und Grundschulalter selbstbewußt nach Maus und Tastatur. Sie lassen sich am PC auch nicht von quengelnden Brüdern oder männlichen Altersgenossen verdrängen oder beeinflussen, sondern spielen die sie interessierende Anwendung in Ruhe und gelegentlich langdauernd durch." (38)
Nachdem ich nun die Verbreitung des Internet in Deutschland und die Nutzung des Computers durch Kinder allgemein betrachtet habe, geht es mir im folgenden Abschnitt um die kindlichen Online-Aktivitäten. Ich trage die wenigen vorhandenen Untersuchungsergebnisse zu diesem Thema zusammen und beschäftige mich mit einigen entwicklungspsychologischen Aspekten, die für die Gestaltung von kindgerechten Online-Angeboten von Belang sind.
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(30) Weiler, Stefan: Mit dem Computer durch die Kindheit, a.a.O., S.160f.
(31) Vgl. Weiler, Stefan: Computerkids und elektronische Medien, a.a.O., S.230.
(32) Weiler, Stefan: Computernutzung und Fernsehkonsum von Kindern, a.a.O., S.52.
(33) Vgl. Fromme, Johannes: Computerspielkulturen von Kindern zwischen Markt und Pädagogik. IN: Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur: GMK-Rundbrief: Netzwärts - Multimedia und Internet. Neue Perspektiven für Kinder und Jugendliche. Bielefeld 1997, S.20-26. Für die auf Teil-Repräsentativität angelegte Studie wurden zwischen Mai und Oktober 1996 insgesamt 1111 Zweit-, Viert- und Sechstklässler aus Schulen im Großraum Bielefeld befragt.
(35) Petzold, Matthias: Kinder und Jugendliche beim Bildschirmspiel. Ergebnisse einer Befragung zu Interaktion und Kommunikation von 8-16jährigen an Computer, Videokonsole oder Gameboy. IN: Medienpsychologie 4/1996, S.257-272; hier S.270.
(36) Weiler, Stefan: Mit dem Computer durch die Kindheit, a.a.O., S.162.
(37) Vgl. Weiler, Stefan: Computernutzung und Fernsehkonsum von Kindern, a.a.O., S.51.
(38) Heidtmann, Horst: Kinder- und Jugendliteratur multimedial und interaktiv. Beiträge Jugendliteratur und Medien. 7. Beiheft 1997. Weinheim 1997, S.86.
© Tobias Gehle, 1998
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