Kinder im Netz

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Das Internet spielt hierzulande im Medienalltag von Kindern offenbar (noch) eine untergeordnete Rolle. Die Ergebnisse der Online-Umfrage "Kinder im Netz" legen nahe, daß insbesondere Kinder im Grundschulalter ausgesprochen selten mit dem neuen Medium in Berührung kommen. Fast zwei Drittel aller Mädchen und Jungen, die sich an der Umfrage beteiligt haben, waren zwischen elf und 13 Jahren alt. Nur knapp ein Viertel gab an, das Internet fast täglich zu nutzen. Weniger als jeder fünfte Umfrageteilnehmer kann als in hohem Maße online-erfahren bezeichnet werden, sprich er bzw. sie ist mit fast allen Anwendungsmöglichkeiten des Internet vertraut.
Bei elf Jahren verzeichnet die vorliegende Studie einen sprunghaften Anstieg der Zahl von Kindern mit Online-Erfahrung. Es deutet jedoch nichts darauf hin, daß dies mit dem Übergang in die weiterführende Schule zusammenhängen könnte. Überhaupt ist die Schule als Zugangsort ganz offensichtlich von nachgeordneter Bedeutung: Weniger als ein Drittel der Kinder nutzt das Netz meistens am Schul-PC, über die Hälfte hingegen zu Hause. Dies wiederum deutet darauf hin, daß für Kinder von sechs bis 13 Jahren das Internet eher als Freizeit- denn als Unterrichtsmedium von Bedeutung ist.

Von männlicher Dominanz ist bei den Cyber-Kids keine Spur. Dies steht ganz im Gegensatz zu den Erkenntnissen über die Zusammensetzung des Online-Publikums insgesamt. Mädchen sind im Internet keinesfalls unterrepräsentiert, mit 60 Prozent stellten sie bei der Online-Umfrage "Kinder im Netz" sogar den überwiegenden Anteil der Respondenten. Und auch was die Nutzungsintensität angeht, liegen die Mädchen vorn: Deutlich mehr weibliche als männliche Respondenten sind nach eigenen Angaben fast täglich im Internet.

Das World Wide Web genießt bei den Kindern offensichtlich einen hohen Bekanntheitsgrad. Darauf deuten die Antworten der Kinder zu ihrer Erfahrung mit den einzelnen Online-Anwendungsarten und -Inhalten hin: Bilder und Videoclips liegen hier mit deutlichem Abstand an erster Stelle. Allerdings wurde nicht nach der Nutzungshäufigkeit für die einzelnen Anwendungsarten und Inhalte gefragt. Vielmehr sollten die Kinder die ihnen bekannten Internet-Aktivitäten bewerten. Dabei allerdings wurde deutlich, daß sich vor allem die kommunikativen, auf das geschriebene Wort gestützten Dienste E-Mail und Chat großer Beliebtheit erfreuen. Zwar können weniger als die Hälfte der Kinder Chat-Erfahrung vorweisen. Der überwiegende Teil derer, die diese Form der Echtzeit-Kommunikation schon einmal ausprobiert haben, ist jedoch davon begeistert.
Daß Kinder am Internet vor allem die partizipativen Qualitäten schätzen, daß sie individuelle Spuren im Netz hinterlassen wollen, diese Tendenz läßt sich auch an dem großen Zuspruch ablesen, dessen sich das öffentliche Meinungsforum zu "Kinder im Netz" erfreute. Aber: Weniger als ein Drittel der befragten Kinder hat schon mal eigene Inhalte - Bilder, Geschichten oder gar Töne - im Internet "ausgestellt". Das dürfte jedoch mit der hohen technischen Hürde zusammenhängen: Es ist noch verhältnismäßig einfach, mal eben eine E-Mail an den Brieffreund abzusetzen oder eine Nachricht an eine elektronische Pinnwand zu "kritzeln". Wenn es jedoch darum geht, beispielsweise ein gemaltes Bild im World Wide zu veröffentlichen, kommen Spezialkenntnisse ins Spiel: Der Scanner muß bedient werden, das Bild ist in eine HTML-Seite einzubetten, und das elektronische Dokument muß schließlich vom lokalen Anwendercomputer auf einen allgemein zugänglichen Netzrechner "verfrachtet" werden. Wenn die Kenntnisse der Kinder hierzu nicht ausreichen, dürfen Eltern und Lehrer ran. Aber die müssen auch erstmal Zeit, Lust und Geld aufbringen, die Sprößlinge bzw. Schüler bei ihren Netzaktivitäten zu unterstützen.
Als Lese- und Informationsmedium scheint das Internet nur verhältnismäßig wenige Kinder zu begeistern. Textlastigen Angeboten ist wenig Applaus beschieden in der Altersgruppe der 6- bis 13jährigen Online-Nutzer und -Nutzerinnen. Diese Erkenntnis deckt sich mit früheren explorativen Studien zu den Online-Präferenzen von Kindern. Im übrigen ist dies aber auch kein besonders überraschendes Ergebnis, zieht man die zumindest bei den jüngeren Kindern eingeschränkten Lesefertigkeiten in Betracht.

Die Online-Umfrage "Kinder im Netz" hat ferner gezeigt, daß Kinder, sofern sie über Erfahrungen mit dem Internet verfügen, die sich ihnen hier bietenden Möglichkeiten zum überwiegenden Teil ausgesprochen positiv bewerten. Dies mag als Indiz gewertet werden, daß die Kinder das Internet als ein immer noch verhältnismäßig exklusives Medium begreifen: Wer online sein kann, darf sich glücklich schätzen. Ob dies nur ein Novitätseffekt oder aber ein Internet-spezifisches Phänomen ist, müssen Nachfolgeuntersuchungen zeigen.

Die Strategien, die Kinder anwenden, sofern bei der Internet-Nutzung ein technisches oder Verständnisproblem auftaucht, legen nahe: Eltern und Lehrer haben ihre Stellung als Autoritätsperson in der Medienerziehung im Zeitalter der elektronischen Kommunikation (noch) nicht vollends eingebüßt. Auch für die ältesten Kinder der befragten Altersgruppe sind Erwachsene immer noch Ansprechpartner Nummer eins, wenn sie bei ihren Ausflügen in den Datendschungel in einer Sackgasse landen. Die Bedeutung gleichaltriger "Tutoren" ist jedoch verhältnismäßig gering.
Eher auf spekulativer Ebene bewegen sich die Schlußfolgerungen aus der vorliegenden Studie zur Rezeptionssituation während der Online-Betätigung. Zwar deutet sich an, daß Kinder das Internet zu Hause vorwiegend allein nutzen und daß gemeinschaftliche Ausflüge in den Cyberspace mit anderen Kindern eher die Ausnahme sind. In der Schule hingegen scheint die gemeinschaftliche Nutzung mit Kindern und Lehrern zu überwiegen. Allerdings beziehen sich diese Ergebnisse auf die Angaben der Kinder über die Rezeptionssituation während der Befragung, nicht auf die Normalbedingungen. Hier tun Nachfolgeuntersuchungen unbedingt not - Beobachtungen und Intensivinterviews beispielsweise, wie sie derzeit in Italien durchgeführt werden. (360)


Zu den methodischen Schlußfolgerungen aus dem empirischen Projekt "Kinder im Netz":

Sowohl Verlauf und Ergebnisse des Pretests als auch die Hauptuntersuchung haben belegt: Es ist durchaus möglich, mit einer Online-Umfrage ausreichend Respondenten zu erreichen, um Aussagen machen zu können über Internet-Nutzungsprofile von Kindern. Zwar ergibt eine elektronische Befragung, die sich direkt an Kinder richtet, wie bereits ausgeführt, kaum verläßliche Daten über soziale Rahmenbedingungen der Online-Betätigung. Hierzu wäre es aber ohnehin sinnvoller, erwachsene Bezugspersonen zu konsultieren. Aufschlußreiche Erkenntnisse hat die Online-Umfrage "Kinder im Netz" vor allem über inhaltliche Präferenzen sowie über demographische Tendenzen innerhalb der Altersgruppe der 6- bis 13jährigen ergeben.

Betrachtet man die verhältnismäßig große Ausdauer der Kinder beim Ausfüllen des Fragebogens - über die Hälfte der Kinder, die den Fragebogen aufgerufen haben, arbeiteten ihn komplett durch - so scheint die in der vorliegenden Studie ausgearbeitete spielerische Form der Befragung, die stark auf grafische Symbole setzt, kindlichem Rezeptionsverhalten angemessen. Sicherlich ließe sich der Fragebogen noch straffen und dadurch evt. die Rücklaufquote erhöhen. So könnten insbesondere im ersten Teil die Fragen zur Rezeptionssituation während der Befragung wegfallen. Nimmt man die Ergebnisse des Pretests hinzu, so scheint mir jedoch insgesamt die Untersuchungsdauer nicht zu lang.

Alles in allem war die Resonanz auf die Umfrage größer, als ich ursprünglich erwartet hatte. Allerdings ist die Beteiligungsquote gemessen an dem betriebenen "Werbeaufwand" immer noch verhältnismäßig bescheiden. Dies dürfte jedoch mit der offenbar noch geringen Verbreitung des Internet unter Kindern generell zusammenhängen. Insbesondere Sechs- und Siebenjährige haben sich kaum beteiligt, was wiederum darauf zurückzuführen sein dürfte, daß in diesem Alter aufgrund der fehlenden Schreibkenntnisse allenfalls von einer passiven oder einer gemeinschaftlichen Nutzung des Internet mit Eltern oder älteren Geschwistern auszugehen ist. Daß es Sinn macht, so junge Kinder mit einer schriftlichen Befragung in elektronischer Form anzusprechen, darf nach den Erfahrungen der vorliegenden Studie bezweifelt werden. Es wäre vermutlich sinnvoller, Kinder und deren Eltern in dieser Altersgruppe über ihre (gemeinsamen) Internet-Aktivitäten mündlich zu befragen und sie ggf. dabei zu beobachten.
Auch nach oben war die Altersgrenze offenbar zu weit gesteckt. Einige zwölf- und 13jährige Kinder beschwerten sich im abschließenden Meinungsforum zu "Kinder im Netz" über die ihres Erachtens zu kindische Aufmachung. Für nachfolgende Studien bietet sich an, den Fragebogen in mindestens zwei Altersgruppen aufzuteilen. Der Schnitt wäre nach den Erfahrungen aus der vorliegenden Studie am besten bei zwölf Jahren zu machen.

Erwähnt sei schließlich noch, daß einige Ergebnisse sowohl des Pretests als auch der Hauptuntersuchung urbar gemacht werden können für die Web-Gestaltung: Wer ein kinderfreundliches Angebot im World Wide Web unterhält, sollte demnach einige grundlegende Regeln beherzigen:

  1. Insbesondere jüngere, im Umgang mit dem Computern unerfahrenere Kinder nehmen den Bildschirm als Ganzes wahr und benutzen die für Erwachsene selbstverständliche Scroll-Funktion nicht zwangsläufig. Inhalte sollten also möglichst in "kleine Häppchen" aufgeteilt werden, so daß sie auf eine Bildschirmseite passen.
  2. Lange Textstrecken sind - vor allem bei leseschwächeren Kindern natürlich - unerwünscht. Das Internet, in diese Richtung weisen die Ergebnisse der vorliegenden Studie, wird von Kindern nur bedingt als Lesemedium akzeptiert.
  3. Kinder schätzen Partizipationsmöglichkeiten. Wenn ihnen die Möglichkeit gegeben wird, ihre Meinung öffentlich, für alle Besucher einer Web-Seite lesbar kundzutun, machen sie davon liebend gerne Gebrauch. Der Weg bis zur Veröffentlichung eigener Inhalte sollte jedoch nicht durch zu hohe technische Hürden verstellt sein.

Dieser Teil meiner Arbeit hat deutlich gemacht, in welchem Umfang Kinder das Internet überhaupt nutzen und welche Formen der Online-Betätigung in der Zielgruppe der 6- bis 13jährigen am beliebtesten sind. Im folgenden Abschnitt geht es nun konkret um das Web-Projekt einer einzelnen Hörfunk-Redaktion: Lilipuz macht Radio für Kinder und ist seit Mitte 1996 auch mit einer Kinder-Website im Internet präsent. Es soll gezeigt werden, inwieweit das Publikum der Sendung dieses Angebot akzeptiert und welche Potentiale das Internet birgt als programmbegleitendes Medium.



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zurück (360) Vgl. Tarozzi, Massimiliano, a.a.O.

© Tobias Gehle, 1998

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