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Wenn in Deutschland über Kinder im Internet diskutiert wird, dann geschieht dies selten aus einem medienwissenschaftlichen oder pragmatisch-journalistischen Interesse heraus. Es überwiegen pädagogisch motivierte Publikationen und Meinungsäußerungen. Häufig steht die Frage im Vordergrund, inwieweit Online-Medien den Schulunterricht bereichern können. Die Bedeutung des Mediums für die Freizeitbeschäftigung von Kindern ist bislang eher selten ein Thema gewesen. Dies wiederum dürfte damit zusammenhängen, daß das Internet heute erst in verhältnismäßig wenigen deutschen Familienhaushalten eine Rolle spielt.
Die Schattenseiten des Internet verleiten zu Pauschalurteilen. Natürlich
besteht die Online-Welt auch aus Kommunikationsmüll, Pornographie, Gewalt und
Rassenhaß. Aber doch nicht nur! Das Internet kann den Medienalltag der Kinder
durchaus bereichern: durch die Begegnung mit Gleichaltrigen aus anderen
Kulturkreisen beispielsweise - auch wenn die Eltern oder älteren Geschwister bei
der Übersetzung der in einer fremden Sprache geschriebenen E-Mails ein wenig
helfen müssen; oder durch die Erfahrung, plötzlich einem breiten Publikum
Gleichaltriger im World Wide Web die eigenen kleinen Kunstwerke zeigen zu können,
die eigenen Gedichte, Geschichten oder Buntstiftkreationen.
Was allerdings bislang noch fehlt, sind empirisch fundierte Erkenntnisse
darüber, in welchem Umfang Kinder die Möglichkeiten des Internet ausschöpfen.
Inwieweit werden Online-Medien von Kindern genutzt, in der Schule einerseits
und zu Hause andererseits? Gibt es sie überhaupt, die Kids im Netz?
Wenn ja, wie setzt sich das junge Online-Publikum zusammen?
Mit welchen Anwendungen und Inhaltstypen sind die Online-Youngsters vertraut?
Und welche sind ihnen am wichtigsten und liebsten?
Nutzeranalysen haben Kinder zwischen 6 und 13 Jahren bislang immer konsequent ignoriert. Hauptziel der vorliegenden Studie ist es, dieses Defizit wettzumachen.
Die Idee für diese Arbeit ist aus der journalistischen Praxis heraus entstanden. Sie geht zurück auf eine mehr als zweijährige Tätigkeit "im Feld". Anfang 1996 beauftragte mich die Redaktion der WDR-Kinderhörfunksendung "Lilipuz" mit der Entwicklung eines Online-Konzeptes. Im Juni 1996 war "Lilipuz" im World Wide Web. Seither unterstütze ich als freier Mitarbeiter die Redaktion in ihren Bemühungen, das Angebot zu pflegen und auszubauen. Dabei kam mehr als einmal die Frage auf, ob für diese Form der Veröffentlichung von Inhalten überhaupt ein Publikum da ist und wie es sich zusammensetzt. Über die online-spezifischen Rezeptionsgewohnheiten dieser Zielgruppe war nichts bekannt, genauso wenig über die Anforderungen, die Kinder an das neue Medium stellen.
Es geht also zum einen um eine allgemeine Zielgruppenanalyse,
um die Beschreibung des Online-Publikums im Kindesalter. Dabei orientiert
sich die Alterseinteilung (6 bis 13 Jahre) an der des Computer-Kinder-Forschers
Stefan Weiler. (1) Gleichzeitig
ist dies die Altersspanne, in der Kinder "Lilipuz" hören.
(2)
In einem zweiten Schritt soll an dem Beispiel "Lilipuz" gezeigt werden,
wie das Internet als Begleitmedium die journalistische Arbeit einer
konkreten Kinderredaktion ergänzt und in welchem Umfang Kinder von
diesem Informationsangebot Gebrauch machen.
Die Arbeit gliedert sich in drei Teile, einen theoretischen und zwei empirische.
In Teil 1 stelle ich zunächst einige Eckdaten zusammen über die allgemeine
Verbreitung des Internet in Deutschland und die Zusammensetzung des Online-Publikums.
Dabei orientiere ich mich an den aktuellsten Studien. Im dann folgenden Abschnitt
geht es darum, in welchem Umfang Kinder Zugang zum Computer haben,
wie intensiv und zu welchen Zwecken sie ihn einsetzen.
Anschließend fasse ich die wenigen bislang vorliegenden Forschungsergebnisse
über die Verbreitung des Internet bei 6- bis 13jährigen zusammen
und beleuchte die besonderen Rezeptionsbedürfnisse dieser Altersgruppe.
Aus den spärlichen empirischen Befunden leite ich einige Richtlinien ab
für die Gestaltung kindgerechter WWW-Angebote.
Eher knapp fällt die Beschreibung des Status Quo aus zum
Umfang des Online-Angebots für Kinder im deutschsprachigen Raum.
Eine aktuelle Auflistung der bekanntesten Homepages beispielsweise wäre
bei der schnellen Entwicklung des Netzes allzu rasch veraltet
und folglich von begrenztem Wert. Deshalb habe ich mich auf die Darstellung einiger
Trends konzentriert und zwei besonders prominente Beispiele herausgegriffen.
Im letzten Abschnitt des theoretischen Teils thematisiere ich Gefahren
und potentielle Auswirkungen der Internetnutzung für Kinder.
Entsprechend der Bedeutung, die diesem Thema in der öffentlichen Diskussion zukommt,
fällt dieser Abschnitt verhältnismäßig umfangreich aus. Abschließend
zeige ich einige Möglichkeiten auf, wie Kinder vor jugendgefährdenden Inhalten
geschützt werden können und diskutiere die Probleme, die mit der
Inhaltskontrolle des Netzes verbunden sind.
Teil 2: Hier beschreibe ich Methodik und Ergebnisse der Online-Umfrage
"Kinder im Netz", die ich zwischen Mai und Juli 1998 im World Wide Web durchgeführt habe.
Die Respondenten wurden bei diesem Projekt aufgefordert, einen interaktiven
Fragebogen auszufüllen. Insgesamt haben sich rund 300 Kinder zwischen sechs und
13 Jahren beteiligt. Damit ist "Kinder im Netz" eine der ersten monothematischen
Studien überhaupt, die im größeren Stil Nutzungspräferenzen für spezifische Online-Inhalte
und -dienste in dieser Altersgruppe beleuchtet. Ferner habe ich geprüft,
inwiefern sich die gewählte Befragungsmethode für die Erhebung von empirischen
Daten in der angesprochenen Alters-gruppe eignet.
Online-Umfragen sind jedoch mit erheblichen methodischen Unzulänglichkeiten
behaftet. Diese werden ausführlich diskutiert, ebenso die Probleme, die
mit der Erhebung von Mediennutzungsdaten bei Kindern generell verbunden sind.
In Teil 3 betrachte ich exemplarisch das Online-Konzept der
WDR-Kinderradiosendung "Lilipuz". Es ging mir vor allem darum, wie das WWW-Angebot
von "Lilipuz" ankommt und inwieweit Kinder via E-Mail Meinungen und Anregungen
zum Hörfunkprogramm an die Redaktion herantragen.
Zunächst habe ich die Zugriffsstatistiken für die
"Lilipuz"-Homepage aus
einem Zeitraum von 21 Monaten ausgewertet und die "Popularität" der
einzelnen Online-Inhalte untersucht. In einem zweiten Schritt wurde
die elektronische Hörerpost (E-Mails), die von Dezember 1996 bis Juli 1998
bei der "Lilipuz"-Redaktion eingegangen ist, einer Inhaltsanalyse unterzogen.
Es wären weitere Untersuchungen nötig, um verläßliche Erkenntnisse über die
Zusammensetzung des Online-Publikums von "Lilipuz" zu gewinnen.
Die Analyse der Zugriffsstatistiken sowie der elektronischen Hörerpost ließen
einige methodische Probleme zutage treten. So ist es schlichtweg unmöglich,
allein anhand der WWW-Statistiken zu entscheiden, ob Kinder oder eher Erwachsene
"Lilipuz" im World Wide Web besuchen. Und auch bei der Auswertung der
elektronischen Hörerpost wurde schnell deutlich, daß es sich ungemein schwierig
gestaltet, verläßliche Aussagen über die tatsächlichen Absender der E-Mails zu machen.
Eine Bemerkung vorweg zur Zitier-Technik. Ich mache ausgiebig Gebrauch von Quellenmaterial,
das nicht in Printform, sondern nur elektronisch im Internet veröffentlicht wurde.
Einen allgemein anerkannten Standard für das wissenschaftliche Zitieren von
Online-Publikationen gibt es jedoch (noch) nicht.
Ich orientiere mich im wesentlichen an der von Bleuel vorgeschlagenen Technik. (3)
Quellen aus dem World Wide Web und dem Internet-Dienst FTP werden
nach dem folgenden Muster zitiert:
Autor: Titel des Beitrags. Online im Internet 1998. URL: http://www.adresse.de
[Stand 3.9.1998].
Das Erscheinungsdatum gebe ich nur dann an, wenn es in der Online-Quelle
explizit erwähnt wird. Dies ist allerdings nicht immer der Fall.
Sofern der Beitrag in einem Dateiformat veröffentlicht wurde, das eine
Seitennumerierung zuläßt (nicht HTML), wird dies explizit ausgewiesen.
Beispiel:
Begel, Andrew B.: Bongo: A Kids' Programming Environment for Creating Video Games on the Web.
Online im Internet 1997 (Postscript). URL:
http://el.www.media.mit.edu/people/abegel/begel-meng-thesis.pdf [Stand 20.8.1998].
Persönliche E-Mails werden wie folgt zitiert:
Name des Absenders:
Es liegt in der Natur des Themas, daß ich vielfach ein Fachvokabular verwende,
welches vom alltäglichen Sprachgebrauch abweicht. Fachausdrücke sind in dieser
Online-Ausgabe hervorgehoben.
Ein Klick auf den Begriff öffnet ein kleines Fenster mit einer entsprechenden Erklärung.
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(1) Vgl. Weiler, Stefan: Computerkids und elektronische Medien. Ergebnisse einer qualitativ-empirischen Studie. IN: Media Perspektiven 5/1995, S.228-234; Weiler, Stefan: Computernutzung und Fernsehkonsum von Kindern. Ergebnisse qualitativ-empirischer Studien 1993 und 1995. IN: Media Perspektiven 1/1997, S.43-53; Weiler, Stefan: Mit dem Computer durch die Kindheit. IN: Ludes, Peter/Werner, Andreas: Multimedia-Kommunikation. Theorien, Trends und Praxis. Opladen 1997, S.141-170.
(2) Vgl. Illerhaus, Ulla/Niemeyer, Karin: Die Sendepause ist vorbei. Kinderfunk heute. Eine empirische Untersuchung von aktiven HörerInnen der WDR-Sendung Lilipuz. Diplomarbeit am Institut für Journalistik der Universität Dortmund. Dortmund 1997; S.127f.
(3) Vgl. Bleuel, Jens: Zitieren von Quellen im Internet. Online im Internet 1995. URL: http://www.uni-mainz.de/~bleuj000/zitl.html [Stand 3.9.1998]; vgl. auch die kompakte Darstellung bei Hoppe, Heinz-Otto: Online oder angeleint? Die Bedeutung von Online-Medien im Prozeß der journalistischen Recherche. Diplomarbeit am Institut für Journalistik der Universität Dortmund. Dortmund 1997, S.10ff.
© Tobias Gehle, 1998
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